• Sein Wort hat Gewicht. Leverkusens Sportchef RUDI VÖLLER (55) spricht über Bayer 04, die Liga, Europa und TV-Gelder.

    • Die Spieler sind heute fitter, aber zerbrechlicher
    • Unsere Vision wurde bei Vidal belohnt
    • Kramer ist das lebende Beispiel für unser Konzept
    • Bei uns gab es früher in der Kabine ein, zwei Bier

    Erst als Spieler, dann als Teamchef, mittlerweile als Sportchef – Rudi Völler hat den deutschen Fußball enorm geprägt. Sein größter Erfolg liegt nun genau 25 Jahre zurück, 1990 wurde „Tante Käthe“ mit Deutschland Weltmeister.


    Herr Völler, wenn Sie den Fußball von 1990 mit heute vergleichen, haben Sie das Gefühl, das ist eine andere Sportart?
    Den Gedanken hast du ja immer, wenn du zurückblickst. Damals in den 90ern haben wir die Spiele aus den 1970ern angeschaut und gedacht: Och, das ist aber langsam. Die stehen ja teilweise da rum, während wir pausenlos in Bewegung sind. Und heute ist es noch einmal mehr, noch intensiver, noch schneller. Die Spieler sind noch fitter, aber auch zerbrechlicher. Es gibt permanent Blutuntersuchungen, physiologische Tests, tägliches Vergleichen der Körperwerte. Das sind Maschinen, die jeden Tag geölt werden müssen. Das war auch schon bei uns sehr professionell, mit Ärzten, Physios, Köchen, Ernährungsberatung. Aber es war einfach alles ein bisschen lockerer. Damals haben wir zwischen den Spielen auch mal einen draufgemacht. Das geht heute nicht mehr, heute ist alles gläsern, wissenschaftlich durchleuchtet.


    Ließe sich das Rad noch zurückdrehen?
    Nein. Und das ist auch gut so. Weil der Fußball ja attraktiv ist. Ich habe in drei WM-Finals gestanden, ich habe die Champions League gewonnen. Aber wenn ich ein WM-Endspiel wie Deutschland gegen Argentinien 2014 sehe, dann bin ich total begeistert von diesem Spiel, von der Qualität, vom Laufvermögen, von der Schnelligkeit. Dann weiß ich: Das hat sich alles absolut positiv entwickelt. Es geht fast immer nach vorne, du hast immer das Gefühl, dass gleich etwas passiert. Das war früher überschaubarer. Selbst unser Finale 1990 gegen Argentinien – die waren ja richtig schlecht. Das würde es heute so nicht mehr geben. Heute kannst du dich nicht mehr durch eine WM mogeln wie die Argentinier damals. Heute setzt sich nur noch Top-Qualität durch.


    U-21-Trainer Horst Hrubesch ist felsenfest überzeugt, dass er seine Schützlinge während eines Turniers nie mit einem Kasten Bier auf der Bude erwischen würde. Ist die heutige Profi-Generation braver?
    Bei uns war es definitiv anders. Ob in Bremen, Rom oder Marseille – überall, wo ich gespielt habe, sind wir nach dem Training manchmal ein Bier oder ein Glas Wein trinken gegangen. Da gab es in der Kabine direkt nach dem Spiel auch mal ein Bier oder zwei. Das ist ja heute gar nicht mehr denkbar.


    Ist dies ein Produkt der Erziehung in den Nachwuchsleistungszentren?
    Ja, absolut. Du musst heute keinen U-21-Spieler mehr erziehen. Abgesehen von den schwarzen Schafen, die es immer gibt, kommen die Jungs komplett erzogen zu den Profis. Alles konzentriert sich auf Fußball, sie leben für ihn, hoffen, Teil eines großen Spektakels zu werden.


    Nicht jeder schafft den Sprung. Sorgen die top ausgebildeten Spieler demnächst für einen Qualitätssprung an der Basis bis runter in die 4. oder 5. Liga?
    Auf jeden Fall. Die Unterschiede werden geringer. Das werden wir vor allen Dingen im Pokal zu spüren bekommen. Wir mussten ja schon vergangene Saison gegen Magdeburg ins Elfmeterschießen – die waren in der 4. Liga. Aber das sind richtig gute Fußballer. Und wenn du da als Erstligist ein paar Prozent weniger investierst, wird es schwer. 5. und 6. Liga schaffst du auch, wenn du einen schlechten Tag hast. Ab der 4. Liga geht das nicht mehr.


    Mit Christoph Kramer kommt ein Spieler zu Bayer Leverkusen zurück, mit dem vor zwei Jahren niemand rechnete. Ist der Nationalspieler das Paradebeispiel für Ihre Politik der Leihspieler?
    Eines ist klar: Wir hätten Christoph niemals verkauft, damals nicht, und auch jetzt hätten wir ihn nie den Gladbachern gelassen. Christoph ist das lebende Beispiel für unser Konzept. Er steht für das, was wir hier wollen. Und wir wollen Geduld haben mit Spielern, die es mit 18 eben noch nicht schaffen, ihnen die Möglichkeit geben, sich weiterzuentwickeln. Christoph kommt als Top-Spieler zurück. Wir haben Castro für elf Millionen Euro abgeben müssen. Kramer hätten wir im Normalfall nicht für die Summe bekommen, er hätte viel mehr gekostet.


    Als Sie die Halbfinals in der Champions League zwischen Real Madrid und Juventus Turin gesehen haben, blutete da Ihr Bayer-Herz? Immerhin standen mit Arturo Vidal, Toni Kroos und Daniel Carvajal drei Akteure auf dem Platz, die in Leverkusen den Durchbruch geschafft haben.
    Nein, das spricht doch für uns als Klub, dafür, dass wir ein gutes Auge haben und gute Leute. Michael Reschke, der Daniel Carvajal entdeckte, und sein Nachfolger Jonas Boldt, der damals Arturo Vidal fand, haben bewiesen, wie gut sie das machen. Dass diese Spieler irgendwann gehen, ist uns von vornherein klar. Vor allen Dingen, wenn sie wie Kroos nur ausgeliehen sind oder wie im Falle Carvajal per Rückkauf-Klausel geholt werden können. Anders wären sie gar nicht zu uns gekommen. Und wir dürfen nicht vergessen: Arturo Vidal war vier Jahre bei uns. Wir hätten gerne gehabt, dass er seine Karriere bei uns beendet. Dass er aber irgendwann bei einem europäischen Spitzenklub landen würde war absehbar. Diese Spieler zu holen birgt ja auch Risiken. Arturo beispielsweise kannte niemand, trotzdem haben wir einiges in ihn investiert. Da musst du die Vision haben, das Vertrauen in die Scouts und den Spieler, dass er was kann. Dafür sind wir belohnt worden.

    Können die Fans mit einem ähnlichen Treffer rechnen?

    Den haben wir doch schon. Unseren kleinen Wendell kannte doch auch niemand. Heute ist er der Publikumsliebling hier. Wir haben ihn für eine ähnliche Ablöse geholt wie damals für Vidal, und heute könnten wir ihn locker für die dreifache Summe verkaufen. Er ist der Spieler mit den meisten Anfragen großer europäischer Klubs. Nach einer Saison! Wir machen es natürlich nicht. An solchen Personalien wächst aber im Klub das Vertrauen, gerade solche Transfers zu machen.


    Der Tabellenletzte der Premier League kassiert mehr TV-Gelder als der FC Bayern. Haben Sie Sorgen, dass die Engländer den Markt leer kaufen?
    Das werden wir zu spüren bekommen. Wenn ich auch hoffe – bei allem Respekt vor den englischen Klubs ab Tabellenplatz 10 – dass die Top-Spieler aus Deutschland nicht unbedingt hinwollen. Wenn sie zu den fünf oder sechs Top-Klubs in England wechseln möchten, dann habe ich da Verständnis. Aber ich muss nicht nur nach England gucken.


    Sondern?
    Der FC Bayern ist durch cleveres Management in der Lage, mit den englischen Top-Vereinen wirtschaftlich mitzuhalten. Die Münchner können mittlerweile auch Stammtorhüter eines anderen Vereins davon überzeugen, als Nummer 2 zu kommen. Sven Ulreich ist ja nicht der erste. Pepe Reina war Stammtorwart in Neapel und geht nach München. Jetzt Ulreich, ein erfahrener und guter Torwart. Die gehen nicht dahin, weil sie ein neues Abenteuer erleben wollen oder im Pokal bis zum Viertelfinale spielen dürfen. Diese wirtschaftliche Kraft, einen Spieler zu holen, damit er nicht spielt, die ist gigantisch. Die Bayern wollen ja, dass der Neuer spielt. Nicht, dass wir uns falsch verstehen. Ich habe Verständnis für die Bayern und für den Spieler. Aber gerade dieses Beispiel zeigt, wie weit die Schere auseinanderklafft.


    Der Traum vom Titel wird also für Borussia Dortmund, den VfL Wolfsburg, Schalke 04, Borussia Mönchengladbach oder Bayer Leverkusen ein Traum bleiben?
    Es wird sogar immer schwieriger, sich in der Gruppe hinter den Bayern zu behaupten. Ganz zu schweigen davon, sie zu überholen. Von diesen fünf Teams, die Sie aufgezählt haben, schaffen es zwei sicher in die Champions League. Also: Wir haben in den vergangenen fünf Jahren viermal die Champions-League-Qualifikation geschafft. Aber wer denkt, das sei eine Selbstverständlichkeit, der irrt sich gewaltig.


    Wo sehen Sie den deutschen Vereinsfußball heutzutage?
    Mit dem FC Bayern haben wir ja einen verlässlichen Punktesammler für die Fünfjahreswertung der UEFA. Mit vier Teams im Achtelfinale waren wir gut aufgestellt in den vergangenen Jahren. Wo wir ein bisschen mehr punkten könnten, ist in der Europa League. Wir sollten im Ranking auf jeden Fall nach hinten schauen, weil die Italiener mit Klubs wie Juventus, den beiden römischen Vereinen und Neapel international wieder breiter aufgestellt sind. Wenn die beiden Mailänder Klubs sich erholen, ist Italien wieder ein richtig ernst zu nehmender Gegner in Europa.


    Ob Vidal oder André Schürrle, Bayer Leverkusen musste immer wieder Spieler abgeben. Wann droht das Schicksal bei Hakan Calhanoglu, Heung-Min Son oder Karim Bellarabi?
    Es ist ein Kreislauf, in dem wir leben. Verkäufe von Top-Spielern drohen immer. Da musst du als Verein gewappnet sein, etwas in der Hinterhand haben. Es ist uns trotz der prominenten Abgänge gelungen, unser Niveau zu halten und teilweise auch besser zu werden. Wir müssen immer wieder nachlegen und gute Spieler heranführen. Wir müssen ja auch Erfolg haben. Wir sind ja kein Ausbildungsverein und auch keine Bank. Wir wollen den maximalen Erfolg.


    Also einen Titel?
    Das Erreichen der Champions League ist mittlerweile wie ein Titel. Du kriegst zwar keine Schale und keinen Wimpel. Aber du bist dabei. Und es wird ja auch so gefeiert wie ein Titel. Die Erfüllung unserer Träume wäre der Pokalsieg und dazu die direkte Qualifikation für die Champions League. Berlin ist ein tolles Event. Das muss eines unserer großen Ziele sein.
    INTERVIEW: FRANK LUßEM


    Quelle: kicker-Printausgabe vom 29.06.15

  • Und in den Kommentaren kriechen wieder diese Trolle aus dem Unterholz die man echt nicht in der freien Wildbahn alleine laufen lassen kann, denn die Gefahr das sie sich und andere mit ihre Dummheit in Gefahr bringen ist gegeben ...

  • "Steile Thesen vom Stammtisch" im "11 Freunde"-Sonderheft zur neuen Saison; u.a. diese:


    Zitat

    Es ist noch viel Platz in der Bayer-Vitrine, aber auch in der kommenden Saison wird es wieder nichts mit einem Titel, Rudi Völler!
    "Eigentlich haben wir in den vergangenen fünf Jahren vier Titel gewonnen - so oft haben wir in dieser Zeit die Champions-League-Qualifikation geschafft. Dafür gibt es zwar keinen Pokal für die Vitrine, aber trotzdem ist das eine super Leistung, um die uns viele beneiden. Etwas zum Anfassen wäre natürlich der DFB-Pokal. Den zu gewinnen muss unser Ziel sein. Warum nicht schon in der kommenden Saison?!"

    A foolish consistency is the hobgoblin of little minds.
    (Ralph W. Emerson)

  • Stammt der letzte Satz von Völler? Das wäre eine sehr merkwürdige Interpretation des Wortes "Titel" von jemandem, der den WM-Pokal, die Champions-League-Trophäe, die Meisterschale und den italienischen Pokal in den Himmel gestemmt hat.

  • Das Praktische an Rudis ähm.. "Titel"-Interpretation ist ja auch die Möglichkeit, ggf. runterzurechnen und z.B. das Erreichen der EL-Quali oder der 3. Runde im DFB-Pokal als "Titel" zu betrachten. :LEV18



    Am Ende der Saison wird uns der HSV um den Klassenerhalt beneiden!
    Nach deren Abstieg werden die Talente auch günstiger schätze ich...

  • Stammt der letzte Satz von Völler? Das wäre eine sehr merkwürdige Interpretation des Wortes "Titel" von jemandem, der den WM-Pokal, die Champions-League-Trophäe, die Meisterschale und den italienischen Pokal in den Himmel gestemmt hat.


    Meister war er meines wissens nicht...also keine meisterschale.

  • Finde ich ehrlich gesagt ziemlich respektlos gegenüber einem Spieler wie Marcell Jansen, dem es eben nicht um einen dicken Vertrag geht. Jedem das Recht, selbst über seine Karriere entscheiden zu können. Das sollte auch ein Völler mal in Betracht ziehen...