Er ist noch jung, hat aber bereits große Erfahrung. BERND LENO (22) über die Nationalelf und seinen Respekt vor Lionel Messi.
AUS LEVERKUSENS TRAININGSLAGER IN ORLANDO BERICHTET FRANK LUßEM
Wer ist in Deutschland die Nummer 2 hinter Manuel Neuer? Eine Frage, die aktuell häufig gestellt wird. Bernd Leno (22) macht keinen Hehl daraus, wie die Antwort lautet. Der Keeper von Bayer Leverkusen spricht im Interview mit dem kicker über dieses Thema, über Fehler und warum es nichts bringt, sich lange mit diesen zu beschäftigen.
Herr Leno, Sie hatten sich als eines Ihrer Ziele vor der Saison gesteckt, pro Spiel im Schnitt nicht mehr als ein Gegentor zu kassieren. Aktuell sind es 20 Tore nach 17 Spielen. Wie zufrieden sind Sie?
Wir hatten einen relativ turbulenten Saisonstart. Da haben wir viele Tore geschossen, aber auch viele kassiert. Das hat sich geändert: Wir haben am Ende nicht mehr so viele geschossen, aber auch nicht mehr so viele kassiert. Wir machen es defensiv alles in allem ganz ordentlich.
Da spricht der Torwart …
Als Torwart sieht man diese Entwicklung natürlich positiv. Aber es kann sein, dass man das als Torwart eben so sehen muss, dass eine stabile Defensive den Erfolg wahrscheinlicher macht.
Bayer spielt in vielen Spielen sehr nach vorne gerichtet. Sie haben häufig einen großen unbesetzten Raum vor sich. Wie kompliziert ist die Umstellung?
Es hat sich etwas verändert, das ist richtig. Ich musste off ensiver spielen. Das ist der nächste Schritt in der Entwicklung. Manuel Neuer perfektioniert das ja fast, er macht das sehr gut, sehr extrem. So weit gehe ich nicht. Aber ich reagiere schon darauf, dass die Mannschaft sehr hoch verteidigt. Dazu gehört viel Risiko, das ist zum Beispiel gegen Paderborn in die Hose gegangen …
… als Sie gegen Süleyman Koc neben den Ball traten und ihn zum Torschuss einluden.
Genau. Aber ich denke, solche Fehler muss man einfach machen, um zu lernen. Und ich habe gelernt. Ich spiele offensiver, wenn auch nicht so spektakulär.
Sind Sie damit einverstanden, wenn ich sage, dass in dieser Halbsaison ein paar Wackler mehr in Ihrem Spiel waren als gewohnt?
Ja, das stimmt! Aber das waren immer einzelne Aktionen. Mein normales Niveau habe ich gehalten. Es waren Situationen wie gegen Paderborn, in Magdeburg habe ich bei einem Tor nicht gut ausgesehen, und gegen Köln habe ich Glück gehabt. Was ich meine: Ich bin in diesen Spielen dann nicht komplett untergegangen. Nach dem Luftloch gegen Paderborn habe ich weitergespielt, als sei nichts passiert. Und ich bin auch weiter aus dem Tor gekommen, habe später noch per Kopf außerhalb des Strafraums geklärt. Das ist meine große Stärke, dass ich nach solchen Situationen nicht in ein Loch falle, sondern mein Ding durchziehe.
Wie macht man das?
In Valencia habe ich mal nach zehn Sekunden einen Bock geschossen. Danach kann ich ja nicht aufhören. Das Spiel geht ja noch 90 Minuten. Da muss man mental stark sein. Also: Es gab ein paar Wackler. Aber ich bin nie untergegangen. Deshalb bewerte ich das nicht über.
Also kein Grund zur Sorge um Bernd Leno?
Nein, eine Formkrise gab es nie. Und Fehler gehören dazu. Die muss ich minimieren.
Beschäftigen Sie sich mit Mentaltraining?
Nein, eigentlich nicht. Das Einzige, was ich mache, habe ich übrigens von René Adler übernommen. Damals war ich noch beim VfB Stuttgart und wusste nicht, dass ich mal in Leverkusen spielen würde. Ich war vielleicht 16 oder 17 Jahre alt und René war Gast im Sportstudio. Er sagte, er würde sich am Tag vor dem Spiel immer gewisse Situationen durch den Kopf gehen lassen, die während eines Spiels passieren können. Das fand ich sehr interessant und seitdem mache ich das auch. Ein paar Jahre später habe ich erfahren, dass das mentales Training ist. (lacht)
Ihr Kölner Kollege Timo Horn äußerte zuletzt im kicker, er müsse sich – abgesehen von Manuel Neuer – hinter keinem Konkurrenten verstecken. Wie nimmt man das auf? Und ist der Posten des Nationaltorhüters für Ihre Generation nicht ohnehin verloren, weil Manuel Neuer noch sieben oder acht Jahre spielt und dann der heutige U-15-Nationaltorhüter nachrückt?
Das muss man mal abwarten. Die jetzt ganz jung sind, müssen sich auch erst beweisen. Den Sprung, den wir geschafft haben, den haben die noch vor sich. Über Manuels Ausnahmestellung muss man nicht reden. Aber was in ein paar Jahren ist, das kann heute niemand voraussagen.
Wundert man sich eigentlich über einen solchen Satz wie den von Horn?
Nein, das ist mir eigentlich egal. So wie es Manuel egal wäre, wenn irgendeiner sagt, er habe keine Angst vor Neuer. Ich schaue da nur auf mich selbst und kann mich gut einordnen, mein Können, meine Fehler, wann ich gut spiele oder nicht. Ich bin 22, habe international gezeigt, was ich kann und spiele jetzt die dritte Champions-League-Saison – wir haben immer das Achtelfinale erreicht. Bayer ist eine gute Adresse in Europa. Vielleicht klappt es ja mit dem Viertelfinale.
Haben Sie angesichts Ihrer Bilanz noch nicht damit gerechnet, zur Nationalmannschaft eingeladen zu werden?
Das was Timo Horn sagt, gilt auch für mich. Neuers Position ist klar, dahinter brauche ich mich sicher nicht zu verstecken. Die anderen haben sicherlich ein gewisses Niveau, aber keiner ist so unantastbar wie Manuel. Deswegen sehe ich das gelassen. Ich kann ohnehin nur das beeinflussen, was ich mache. Was Roman Weidenfeller macht, kann ich nicht beeinflussen; und was die Dortmunder machen, auch nicht. Deswegen beschäftige ich mich damit nicht. Da kommt man zu sehr ins Überlegen, macht sich unnötigen Druck. Dazu bin ich viel zu gelassen nach 116 Bundesligaspielen in diesem Alter und über 20 Spielen in der Champions League.
Es wird, gerade international, viel mehr verlangt von den Torhütern. Wo sehen Sie sich in dieser Entwicklung?
Ich denke, ich bin da schon gut aufgestellt. Im vergangenen Jahr habe ich viel mehr an der Spieleröffnung teilgenommen, da konnte ich in dieser Richtung einen großen Schritt nach vorne machen, hatte sehr viele Kontakte. In dieser Saison agieren wir zwar mit mehr langen Bällen. Aber trotzdem muss ich mitspielen, weil wir hoch verteidigen und hinter der Kette viel Raum ist, für den ich dann zuständig bin. Es gehört Mut zum Risiko dazu, mal eben 40 Meter aus dem Tor zu kommen. Und wenn das einmal schiefgeht, dann fragen sich alle, was der denn da macht! Ich denke, ich habe das – wie gesagt: mit der Ausnahme Paderborn – ganz gut gemacht und keine unnötigen Ausflüge gestartet. Und diesen Blackout habe ich für mich als Ansporn gesehen und mir gesagt: ‚Kollege, jetzt zeigt es sich, ob du wirklich die Eier hast, gleich wieder rauszugehen!‘ Ich hatte sie. Und das ist sehr, sehr wichtig. Als Torwart musst du mutig sein.
Vor welchem Spieler hätten Sie Respekt?
Vor Lionel Messi. Das muss man dann auch mal zugeben. Vor ihm habe ich großen Respekt. Er kam ja mal in einem Spiel fünfmal auf mich zu (2012 unterlag Bayer dem FC Barcelona mit 1:7, Messi erzielte fünf Tore, Anmerkung der Redaktion). Das ging damals alles so schnell. Aber das gehört auch dazu.
Bayer schloss die Vorrunde mit 28 Punkten als Dritter ab. Um die Champions League zu erreichen, benötigte man bislang immer über 60 Zähler. Kann es sich rächen, dass Leverkusen viele Punkte liegen ließ?
Es kann sein, dass es sehr eng wird. Hinter uns ist alles nah beieinander. Das zeigt die Ausgeglichenheit der Bundesliga, abgesehen von den Bayern und auch Wolfsburg, die ein gutes Polster auf uns haben. Wir dürfen das nicht unterschätzen, zumal wir in den vergangenen Jahren in der Rückrunde immer so ein bisschen eingebrochen sind. Daraus müssen wir lernen, so darf es nicht weitergehen. Wir haben genug Punkte verschenkt. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass wir unser Spielsystem komplett umgestellt haben. Dafür war es okay.
Wird es vielleicht einfacher, weil die Basis gelegt ist und sich das Team weiterentwickelt?
Das kann sein. In der Sommervorbereitung wurde ja alles komplett umgestellt, mit Vorwärtsverteidigung, Gegenpressing. Das müssen wir jetzt verfeinern und Lösungen finden, wenn der Gegner sich hinten reinstellt. Darauf müssen wir uns einstellen, die Risiken minimieren und vorne effektiver agieren. Wenn wir die Konstanz ins Spiel bekommen, mache ich mir keine Sorgen. Es wird mehr Zeit fürs Training geben, wir lassen weniger Kraft. Ich bin sicher, es wird besser werden.
Der erste Gegner heißt zum Rückrundenstart Borussia Dortmund. Für Sie die größte Sensation der Hinrunde?
Auf jeden Fall. Ich kann mir immer noch nicht erklären, wie das passiert ist.
Kommt da zum Rückrundenauftakt ein Abstiegskandidat? Oder der Vizemeister?
Auf jeden Fall der Vizemeister. Ihre erste Aufgabe ist es, unten rauszukommen. Aber Dortmund wird sich aufraffen. Spätestens dann, wenn die verletzten Spieler wieder dabei sind. Für uns gilt: Wir dürfen uns keinen Ausrutscher leisten.
Einer der auffälligsten Leverkusener war Hakan Calhanoglu. Wie ist das Freistoßtraining mit ihm?
Seine Freistöße sind einfach überragend. Der haut die jedem so rein, wie er will. Ob im Spiel oder im Training. Wenn du im Torwarteck stehst und er kriegt den Ball über die Mauer, dann hast du sehr wenig Chancen. Das ist eine beeindruckende Qualität.
Quelle: kicker-Printausgabe vom 19.01.15