Interview mit Frank Lußem in "Catenaccio", Teil 1

  • Hallo Fränkie,


    erst einmal schön, dass du dir für dieses Interview Zeit genommen hast. Du bist jetzt seit knapp 30 Jahren Redakteur beim kicker und der Schwerpunkt deiner Arbeit liegt auf der Berichterstattung über Bayer Leverkusen. Für den gemeinen Fußball-Fan klingt das nach Bestrafung. Ist und war es das auch?


    Natürlich war es keine helle Freude, Anfang der 80iger, als man sich bei gediegenem Kampffußball auf der Holztribüne gemeinsam mit 8000 Fans die Splitter in den Allerwertesten riss und anschließend von Dettmar Cramer die Welt erklärt bekam. Aber was dann ab Mitte der 80iger kam, entschädigte für alles. UEFA-Cup, Champions League, dramatische Spiele wie das 5:4 gegen Eindhoven oder das 4:4 gegen Benfica oder das 4:2 gegen Liverpool, oder, oder, oder….Ich hatte das Glück, eine der dominierenden Mannschaften der vergangenen Jahre begleiten zu können mit wirklich guten und interessanten Trainern, ich nenne nur Cramer, Stepanovic, Daum oder Toppmöller und auch zuletzt Michael Skibbe, den ich in Leverkusen weit unter Wert verkauft sehe.


    Du sagst, dass Leverkusen eine der dominierenden Mannschaften der vergangenen Jahre war. Letztlich steht auf der Habenseite aber “nur” der UEFA-Cup-Gewinn 1988 und der DFB-Pokal-Erfolg 1993. Im entscheidenden Moment scheint oft das entscheidende Quentchen zu fehlen. Im Laufe dieser dominierenden Jahre schlich sich “Vizekusen” in das Bewusstsein der deutschen Fußballfans, sowie das “Bayer-Phlegma”, dass erst jüngst Rene Adler bemühte um die Erfolglosigkeit des Teams zu erklären. Hast du einen Erklärungsansatz und gibt das ominöse Phlegma wirklich?


    Wer die Bundesliga aufmerksam beobachtet, der wird anerkennen, dass Vizemeisterschaften durchaus berechtigt gefeiert werden. Zumal in Zeiten der damit verbundenen Qualifikationen zur Champions League. Bayer wurde 2000 Zweiter, mit über 70 Punkten, mit nur zwei Niederlagen während der gesamten Saison - hat das was mit Verlieren zu tun? “Second is the first loser” - das kann ich persönlich nicht so gut ab. Das angesprochene Phlegma existiert meines Erachtens nicht. Es hat halt immer auch ein wenig an Klasse gefehlt. 2000 waren es die Nerven, 2002 sicherlich auch der Torhüter. Mit Oliver Kahn wäre Bayer Meister geworden, wohl auch Champions-League-Sieger. Mit Jörg Butt eben nicht, bei aller Wertschätzung. Elfer verschossen, ein Ding aus 40 Metern gegen Bremen kassiert, eine Gurke gegen Schalke in Berlin, eines von Raul in Glasgow, na ja… Fakt ist: Keine deutsche Mannschaft, außer den Bayern natürlich, sorgte international lange Jahre für derart positive Schlagzeilen wie Bayer, keine Mannschaft qualifizierte sich häufiger (natürlich wieder außer den Bayern) für die internationalen Wettbewerbe - nein, das ist aller Ehren wert, auch angesichts der Bedingungen. Natürlich hat die Werkself das Bayer-Werk im Kreuz. Aber eben auch riesige Konkurrenz im Umland, kein Einzugsgebiet. Dafür ist da schon einiges geschaffen worden.


    Du machst aus deiner Bayer-Vorliebe keinen Hehl. Ist es nicht manchmal schwierig die Objektivität zu wahren? Erst nach dem Spiel gegen Bremen gingst du hart mit der Werkself ins Gericht. Du sprachst von “Bieder 04” und fragtest dich, was derzeit falsch läuft. Kritische Töne gab es auch in Richtung des Trainers. Sind das die Worte des Journalisten, oder spricht doch zu sehr der Fan aus dir?


    Kritische Töne gab es nach dem 1. Spieltag bereits, das kannst du nachschlagen. Anschließend gab es weniger Anlässe, dann eine Beobachtungsposition und schließlich wieder der berechtigte Versuch, die Lage kritisch zu beleuchten. Übrigens nicht erst nach dem 1:1 gegen Bremen. Als Fan sehe ich mich beileibe nicht. Einem Fan wird der Tag versaut bei einer Niederlage seines Teams. Frag nach bei Hornby. So weit ist es nicht. Ob Sieg oder Niederlage - das ist für einen Journalisten nicht entscheidend, entscheidend ist die gute Geschichte.


    Kommen wir zum Blick in die Zukunft. Wolfsburg, ein anderes Werksteam kickt sich gerade in die Nähe der Meisterschaft. Meinst du, dass Magath das VW-Team zur Schale führt?


    Ich bin sicher, dass der VfL einen der ersten drei Plätze belegt. Magath hat richtig viel Geld ausgegeben, aber klug. Benaglio, Pekarik, Hasebe, Josue, Riether, Gentner, Dzeko, Schäfer, Grafite - die hätte nicht jeder geholt. Barzagli und Zaccardo allerdings auch nicht. Aber er hat den Ton getroffen, ein Team geformt, er spielt mit dem VfL die Rolle, die Bayer mit Daum ab 1996/97 spielen konnte. Das kostet, macht aber richtig Laune.


    Und Bayer? Reicht es für die internationalen Plätze? Oder muss der Umweg DFB-Pokal genommen werden? Wäre das Verpassen des UEFA-Pokals ein Genickbruch für den Masterplan des Bayer-Managements? Schließlich sinkt die Attraktivität des Vereins für den aktuellen Kader, aber auch potenzielle Neuzugänge.


    Der DFB-Pokal ist ja kein Umweg, das ist ja ein richtig guter Wettbewerb. Ich kann mich noch erinnern an Zeiten, da wollte keiner den Cup gewinnen. Das ist ja heute ein Highlight. Ob Bayer einen Masterplan verfolgt? Ich weiß nicht! Der Stadion-Ausbau ist meines Erachtens etwas zu kostenintensiv. So rund 80 Millionen Euro müssen erst mal finanziert werden. Und mir kann keiner erzählen, dass da nicht anderswo gespart wird. So eine Investition kostet doch erstmal und zwar ein paar Millionen Euro im Jahr an Zins und Tilgung. Und die fallen weg für Neueinkäufe. Dass die Attraktivität sinkt, glaube ich allerdings nicht. Bayer kann mit Pfunden wuchern, die andere Klubs nicht haben. Tolle Infrastruktur, kurze Wege, gute Integration, ein Sprungbrett für junge Spieler - das spricht sich rum. Wenn die Perspektive stimmt, werden die guten Jungs auch bleiben oder kommen wollen. Aber irgendwann muss eben auch mal die Qualifikation für die Champions League gepackt werden. Im übrigen bin ich der Meinung, dass Bayer bereits in dieser Saison Plaz fünf hätte packen können. Die Truppe verkauft sich 2009 deutlich unter Wert.