Offener Brief aus Chemnitz zur Legalisierung von Pyrotechnik

  • Hier etwas für die verhärteten Fronten. Man(n) beachte die Unterzeichner.


    Offener Brief aus Chemnitz zur Legalisierung von Pyrotechnikhttp (zu finden auf der cfc-fanpage).


    Der Offene Brief an den DFB im vollen Wortlaut:


    Offener Brief an den Deutschen Fußballbund


    An: Leiter der Abteilung Prävention und Sicherheit des DFB, Helmut Spahn


    Betreff: Offener Brief zur "Fan-Aktion" im Rahmen des Heimspiels des Chemnitzer FC gegen den VfB Lübeck am 18.09.2010


    Sehr geehrter Herr Spahn,


    wir möchten uns heute aus gegebenem Anlass mit einem offenen Brief an den Deutschen Fußballbund wenden. Unser Thema soll die lang diskutierte Frage einer Teil-Legalisierung von Pyrotechnik in deutschen Fußballstadien sein. Daher wenden wir uns an Sie, als Leiter der Abteilung Prävention und Sicherheit beim Deutschen Fußballbund. Den aktuellsten Anlass sehen wir in der Kommunikation rund um das Heimspiel des Chemnitzer FC gegen den VfB Lübeck am 18.09.2010.


    Die "Ultras Chemnitz ´99" haben sich im Vorfeld dieses Spieles dialogisch mit der Ultragruppe aus Lübeck in Verbindung gesetzt. Beide Fangemeinschaften entwickelten die Idee eines gemeinsamen Intros zu diesem Spiel. Geplant war das Entzünden von mehrfarbigen Rauchfackeln beim Einlaufen der Mannschaften in einem abgesperrten Bereich im Heim- und im Gästeblock. Der Arbeitstitel dieser gemeinsamen Aktion lautete: "Ist die Kurve bunt - wird der Ball erst rund". Diesen konstruktiven Dialog zwischen beiden Gruppen interpretierten alle Beteiligten als deeskalierende Maßnahme im Vorfeld des Spieles. Daher wurden die Jugendlichen in ihrem Anliegen unterstützt und eine Genehmigung dieser Fanaktion beim Deutschen Fußballbund beantragt. Diesem Antrag wurde leider nicht stattgegeben. Die geplanten Rauchfackeln entsprachen im Übrigen einer Kategorie, die nicht unter das Sprengstoffgesetz fällt und somit nicht anmeldepflichtig ist.


    Grundsätzlich wurde seitens des DFB jedoch diesbezüglich Gesprächsbereitschaft signalisiert und auf einen späteren Zeitpunkt verwiesen. Diese Brücke der Kommunikationsbereitschaft möchten wir mit diesem Brief betreten. Dahingehend sollen im Folgenden einige Erfahrungen einfließen, die wir in Chemnitz im Verlauf der letzten Jahre gemacht haben. Daraus sollen Anregungen abgeleitet werden, welche als Ausgangspunkt für eine breite Diskussion dieser Thematik dienen könnten.


    Der "Chemnitzer Weg" im Umgang mit Pyrotechnik begann mit einigen Aktionen, die sich vor dem Block der Chemnitzer Ultras abspielten. Dabei wurden Bengalfackeln mit gültiger BAM-Nummer gemäß der gesetzlichen Bestimmungen beim Einlaufen der Mannschaften kontrolliert abgebrannt. Im Vorfeld dieser Aktionen gab es Gespräche zwischen Ultras, Verein, Polizei und Ordnungsamt. Diese wurden vom Fanprojekt Chemnitz moderiert. Gemeinsam fand man Möglichkeiten, Pyrotechnik im Stadioninnenraum einzusetzen, ohne die Sicherheit der Stadionbesucher zu gefährden oder den Spielbetrieb zu beeinträchtigen. Somit wurden diese Aktionen im lokalen Kontext genehmigt. Nach und nach setzte sich so ein stetiger Prozess in Gang, welcher in einen dauerhaften und nachhaltigen Dialog zwischen Fans und allen beteiligten Institutionen mündete.


    Nach einigen erfolgreichen Verläufen dieser Art entschied man sich einen weiteren Schritt zu gehen. Demnach war es den ultraorientierten Jugendlichen ein großes Bedürfnis, Pyrotechnik auch authentisch und gemäß ihrer spezifischen Jugend(fan)kultur im Block zu entzünden. Folglich suchte man gemeinsam nach Möglichkeiten, dies umzusetzen. Schnell wurde klar, dass diesbezüglich folgende Eckpunkte als unbedingte Voraussetzungen feststanden:


    •abgesperrter Bereich im Block


    •feste Zuweisungen von Personen und Verantwortungsbereichen


    •ausschließliche Nutzung von Rauchfackeln, die nicht unter das Sprengstoffgesetz fallen


    •feste Zuweisung von Zeitpunkten vor oder nach dem Spiel, um den Spielbetrieb nicht zu beeinflussen



    Basierend auf diesen Voraussetzungen wurden auch die weitergehenden Schritte genehmigt und erfolgreich umgesetzt. Im Rahmen des Sachsenpokalfinales zwischen dem Chemnitzer FC und dem FC Erzgebirge Aue gab es sogar eine gemeinsame Aktion auf beiden Fanseiten. Vor dem Hintergrund, dass die Fans beider Vereine eine Erzfeindschaft verbindet, ist dieser Akt des Dialoges vor dem Spiel sehr hoch einzuschätzen. Zudem kam es an diesem Tag zu keinen Zwischenfällen rund um das Spiel.


    Aufgrund dieser positiven Erfahrungen im Umgang mit dem sinnvollen Einsatz von Pyrotechnik sind alle beteiligten Institutionen in Chemnitz von diesem Weg überzeugt und wollen diesen auch konsequent weitergehen. Sinnvoll meint hier, dass Fans dialogbereit sind, auch im Bezug auf Fanszenen und Institutionen, die sie ansonsten strikt meiden. Zudem sind die Fans am Spieltag aktiv an ihre Fankultur angebunden und eben nicht dem devianten Spektrum zugeneigt. Weiterhin ist zu konstatieren, dass es seit Einführung der lokalen Genehmigungspraxis in Chemnitz keinerlei autonome Verwendung von pyrotechnischen Erzeugnissen auf Chemnitzer Seite gab.


    Unser Ziel ist es, den Dialog weiter anzuschieben und diese Thematik noch breiter zu diskutieren. Dazu wäre es sinnvoll, sich die Rahmenbedingungen im Einzelnen vor Ort genau anzuschauen und konkrete Schlüsse daraus zu ziehen. Es ist uns klar, dass es nicht möglich sein wird, eine Art "General-Ermächtigung" zu erteilen. Dazu sind die individuellen Bedingungen vor Ort zu heterogen. Wichtige Einflussfaktoren auf die Genehmigungspraxis, wie beispielsweise das Zuschaueraufkommen oder die Kommunikations-Strukturen am jeweiligen Standort, divergieren enorm. Aus diesem Grund wäre es aus unserer Sicht sinnvoll, die Genehmigungspraxis auch tatsächlich am Standort anzusiedeln und das Hausrecht der jeweiligen Heimvereine als Manifest dieser Problematik anzuerkennen.


    Wir möchten Ihnen zuerst die Möglichkeit geben, von diesem Brief Kenntnis zu nehmen. Ab dem 25.10.2010 soll er der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, um eine offene Debatte zu ermöglichen.


    Wir verbleiben mit freundlichen Grüßen:


    Chemnitzer FC: Peter Müller (Leiter der Geschäftsstelle)
    Szenekundiger Beamter der Polizei Chemnitz: Wolfgang Rücker
    Ultras Chemnitz 99: Ronny Licht
    AWO Kreisverband Chemnitz und Umgebung e.V. (Träger des Fanprojektes Chemnitz): Jürgen Tautz (Geschäftsführer)
    Fanprojekt Chemnitz: Kay Herrmann (Projektleiter)