KSTA: Jupp Heynckes - „Ich schaffe das mit dieser Mannschaft“

  • „Ich schaffe das mit dieser Mannschaft“


    Von Frank Nägele und Christian Oeynhausen, 14.01.10, 19:56h


    Jupp Heynckes startet mit Bayer 04 Leverkusen als Tabellenführer in die Rückrunde. Im Interview spricht der Übungsleiter der Werkself über Alter und Qualität der Bundesliga-Trainer, seine Sympathie für spanischen Fußball und die Entwicklung seiner Elf.



    Herr Heynckes, vor einem Jahr ging Hoffenheim vor Bayern München als Bundesliga-Spitzenreiter in die Rückrunde. Die Trainer hießen Ralf Rangnick, Jürgen Klinsmann, auch Bruno Labbadia wurde hoch gelobt. Alles schien jung, anders, innovativ. 2010 steht Bayer 04 mit Jupp Heynckes, 64, vor Schalke mit Felix Magath, 56, vor dem FC Bayern mit Louis van Gaal, 58? Was ist geschehen?


    Heynckes: Das sind ja Trends, die ihr Medien vorgebt. Immer wieder. Ihr Medien. Die Medien diskutieren, kolportieren, schreiben, reden darüber, immer nur Trends.



    Na ja, aber das sind Fakten, die wir nicht erfunden haben.


    Heynckes: Ob der Trainer, wenn er an der Spitze steht, qualifiziert ist oder nicht - es wird nicht hinterfragt, wenn er ein guter Verkäufer seiner selbst ist. Ich denke, dass die älteren Trainer immer erfahrener waren und qualifiziert. Da hat sich nichts geändert, letztlich ist Qualität wieder gefragt.


    Was macht für Sie die Qualität eines Trainers aus?


    Heynckes: Erfahrung, Kompetenz, Menschenführung, Mannschaftsführung, das alles rückt wieder in den Vordergrund. Man kehrt wieder mehr zu den Fußball-Lehrern zurück. Felix Magath zum Beispiel ist von Branko Zebec und Ernst Happel geprägt, für mich große Trainer. Ich hatte Hennes Weisweiler, der mich beeinflusst hat. Louis van Gaal kam aus der Ajax-Schule, die ihn und die er beeinflusst hat. Diese Konstellation ist im Moment gefragt und die Mannschaften sind auch erfolgreich damit.


    Offensichtlich sind Erfahrung und Modernität kein Widerspruch. Oder um es krasser zu sagen: Alter und Modernität.


    Heynckes: Alter heißt ja nicht, dass man nicht zeitgemäß arbeitet oder trainiert. Für mich ist es wichtig, fortschrittlich, jung geblieben, modern zu sein, auch wenn man älter ist. Das beißt sich nicht. Aber man trifft immer wieder auf Vorurteile. Wenn man redlich ist, ehrlich, seriös, korrekt und menschlich, dann sind das ja heute schon fast Schimpfworte. Für mich als Trainer ist aber auch Leidenschaft wichtig, Motivation, Identifikation, die Liebe zum Beruf, zum Detail. Ich habe immer unheimlich gerne mit Spielern gearbeitet, mit jungen, aber auch älteren.



    Im Moment scheint die Beziehung zu ihrem Arbeitgeber, ihrer Mannschaft, ihren Spielern, besonders innig zu sein.


    Heynckes: Ich habe noch keine Mannschaft trainiert, noch keine - egal ob Bayern, Real Madrid oder Bilbao - die so diszipliniert versucht, die Dinge umzusetzen wie meine jetzige. Schauen sie auf das Wetter, das geht uns ja allen irgendwie gegen den Strich. Wir haben die ganze Vorbereitung in der Kälte absolviert. Richtig gut, wie die Mannschaft arbeitet. Das habe ich vorhin noch beim Training gedacht, da muss man nicht reglementieren. Das hat mit Qualität zu tun, aber das hat auch mit den Charakteren und der menschlichen Komponente der Spieler zu tun.



    Wenn der Erfolg eines Fußball-Unternehmens ein passendes Puzzle ist, wo und wie groß ist dann das Puzzle-Teil Trainer?


    Heynckes: Im sportlichen Bereich ist der Trainer die wichtigste Person, ein ganz wichtiges Element. Ich bin zwar ein Team-Player, und ich sage immer: Die Mannschaft steht ganz oben, dann kommt das Trainerteam und die Mannschaft um das Team herum, die Physiotherapeuten, medizinische Abteilung. Präsident, Manager, Geschäftsführer, die gehören alle dazu - aber die Impulse müssen vom Trainer kommen.



    Wer Sie heute erlebt, kann sich kaum vorstellen, dass Sie einst als Trainer galten, der in erster Linie für Disziplin stand.


    Heynckes: Aber bitte, Disziplin ist doch selbstverständlich. Schauen Sie mal in die Küche eines Sternekoches, was da los ist. Wenn Sie hochwertige Ware abliefern wollen, muss Disziplin da sein, die Abläufe müssen minutiös stimmen. Wir haben eine Straßenverkehrsordnung, wir haben Gesetze, die müssen doch eingehalten werden. Wenn ich heute Menschen sehe, die 30, 40 Kilo Übergewicht haben - okay, manche sind krank, die haben Probleme -, aber die meisten haben keine Disziplin. Es ist für mich selbstverständlich, dass ein Spieler pünktlich sein muss, dass er Mannschaftsdisziplin haben muss, wir reisen mit Klubanzug, da kann nicht einer mit dieser Krawatte kommen, der andere mit einem anderen Hemd. Das ist für mich etwas ganz Normales.



    Das sind also für Sie Werte, die Zeiten und Moden im Trainergeschäft überdauern.


    Heynckes: Ich habe mal ein Buch von Peter Ustinov gelesen über Vorurteile. Jeder Mensch hat Schwächen, und ich habe vielleicht die Schwäche gehabt, Vorurteile zu haben, auch Journalisten gegenüber. Heute habe ich keine Vorurteile und keine Aversion, es ist egal, wer vor mir sitzt. Das ist etwas, das ich nicht immer gekonnt habe. Aber sonst bin ich heute nicht anders als früher.



    Einer Ihrer Ex-Spieler aus den 80er-Jahren hat uns gesagt: „Jupp Heynckes war mein bester Trainer, aber ich hatte Angst vor ihm. Wenn man da morgens vergessen hatte, zu grüßen, hatte man einen schweren Tag.“


    Heynckes: Das mag sein, dass ich da sehr streng war, vielleicht auch ein bisschen zu extrem. Es kann sein, dass ich die Spieler ein wenig erdrückt habe durch meine Autorität und meine Strenge. Aber früher haben die Spieler auch mehr abgekonnt. Frank Mill zum Beispiel, der brauchte das, das war ein Schlitzohr. Heute sind die Spieler professioneller, wenigsten die meisten, die leben sportgerecht. Früher musste man vielleicht auch strenger sein. Aber ich war immer ehrlich zu meinen Spielern, immer offen, vielleicht ein wenig zu direkt.




    Haben Sie ein Ideal vom Fußball? Waren Sie dem schon einmal nahe, sind Sie es vielleicht derzeit?


    Heynckes: Ich bin selbst in einer großen Mannschaft aufgewachsen als Fußballer und habe dann sehr gute Mannschaften trainiert. Ich stand immer für attraktiven Angriffsfußball. Aber da ist dieser Druck, gewinnen zu müssen und besser spielen zu sollen, als es das Talent der Mannschaft hergibt. Man muss heute eine Balance finden zwischen attraktivem und erfolgsorientierten Fußball.



    Anders gefragt: Sehen Sie lieber Barcelona spielen oder Chelsea?


    Heynckes: Ich habe immer den spanischen Fußball vorgezogen, das ist doch ganz klar. Der englische Fußball hat auch immer Teams gehabt, die guten Fußball spielten wie Manchester United. Chelsea ist eine erfolgsorientierte Profi-Mannschaft, die zusammengekauft ist, die nicht gewachsen ist. Diesen wunderbaren Fußball, wie ihn Barcelona spielt und Manchester gespielt hat, können Sie nur erreichen, wenn Sie von unten aufbauen, wenn viele Spieler aus den eigenen Reihen kommen. Das ist das Phänomen, das auch wir jetzt haben. So bekommt man Homogenität. Das kann man nicht, wenn man immer nur neue Spieler kauft wie Real Madrid. Da sagt der Betrachter zwar auch manchmal: „Die spielen schönen Fußball.“ Aber das ist nicht derselbe Fußball, wie Barcelona ihn spielt oder Manchester es getan hat oder Milan in der großen Zeit.




    Und so eine Entwicklung sehen Sie auch in Leverkusen?


    Heynckes: Ich bin nicht ganz so naiv, dass ich nicht sehe, wo man guten Fußball spielen kann und wo nicht. Deshalb habe ich auch hier zugesagt. Hier sind viele Eigengewächse, talentierte Spieler, eine gute Infrastruktur, Ruhe im Klub, Führung im Klub, das andere musst Du als Trainer irgendwann gebacken kriegen. Leider haben die Klubs oft zu wenig Geduld und versuchen immer nur über Transfers die Mannschaften zusammen zu fügen. Wir haben hier eine sehr gute Mannschaft. Es wird nicht leicht, uns von da oben weg zu holen. Die Medien können jede Woche zwei Mal fragen, was in der Vergangenheit war...




    Wir haben das aber nicht gefragt...


    Heynckes: Na, die Frage haben Sie doch schon auf der Zunge. Ich kann Ihnen sagen: Es wird schwer da oben. Es gibt vier, fünf Mannschaften mit Ambitionen, da bin ich Realist. Und wenn Felix Magath sagt: „Nee, wir sind noch nicht reif“, entgegne ich: Ich habe schon unreife Deutsche Meister gesehen. Darauf gebe ich nichts. Da ist Schalke, Bayern, Hamburg, Bremen, auch Hoffenheim muss normalerweise oben mitspielen. Aber so leicht geben wir kein Terrain mehr her. Das ist für mich klar. Und das schaffe ich auch mit dieser Mannschaft.


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