Sehnsucht nach dem richtigen Mann

  • Sehnsucht nach dem richtigen Mann


    Von Frank Nägele, 08.10.09, 21:25h, aktualisiert 08.10.09, 22:58h


    In seiner noch jungen Karriere hat René Adler bislang das Talent bewiesen, jede sich bietende Chance auch zu nutzen. Im Spiel gegen Russland ist diese Fähigkeit erneut gefragt. Es könnte die wichtigste Partie seiner Laufbahn werden.



    MOSKAU - Das Leben eines Torhüters ist nicht komplett ohne bestimmte, prägende Erfahrungen. Er bekommt die ersten Handschuhe. René Adler war da sechs Jahre alt. Er findet seinen ersten Verein - den VfB Leipzig. Er hält Bälle und wird, wenn er das sehr ordentlich tut, bejubelt. Damit ist das Leben der meisten Torhüter im Fußball erzählt. Für ganz wenige, wie René Adler, beginnt da aber alles erst. Wo es enden wird weiß selbst im Herbst 2009 noch niemand. Gewiss ist nur, dass der Leverkusener im WM-Qualifikationsspiel gegen Russland in Moskau (Samstag 17 Uhr, MESZ / ZDF) eine goldene Gelegenheit hat.


    Michael Reschke erinnert sich noch genau an den Tag im Frühjahr 2000, als er die Familie Adler in Leipzig besuchte und ihr ein Angebot machte, das sie durchaus hätte ablehnen können. Denn René, das Talent des Hauses, war gerade erst 15 Jahre alt geworden. „Das war eine schwere Entscheidung für alle“, sagt der Leverkusener Talentfinder, „die Adlers sind eine Familie mit enger Bindung.“ Aber Vater Jens und Mutter Kerstin entschieden, ihren Sohn in die Obhut des Fußballs zu geben. Zu klar war damals schon, dass der Junge diese Mischung aus Überbegabung, Ehrgeiz und Zielstrebigkeit besitzt, aus der große Karrieren werden. „Wir wussten sofort, dass wir es hier mit etwas Außergewöhnlichem zu tun hatten“, sagt Reschke.


    Der Rest der Geschichte wurde oft erzählt. Wie der Teenager in die ausgebaute Dachwohnung des ehemaligen Bayer-Torhüters Rüdiger Vollborn nach Burscheid zog, am Leverkusener Landrat-Lucas-Gymnasium das Abitur machte, von der großen Masse noch unbeobachtet heranreifte als Mensch und Sportler.



    Bis schließlich der vielleicht wichtigste Tag kam im Leben des René Adler: der 25. Februar 2007. Hans-Jörg Butt, unbestrittene Nummer eins des Werksklubs, hatte am 10. Februar im Spiel gegen Frankfurt die Rote Karte gesehen und wurde für zwei Spiele gesperrt. Zunächst wurde Butt von Leverkusens Nummer drei, Benedikt Fernandez, vertreten. Dann kam Adler, gerade genesen von einer schweren Rippenverletzung und zeigte beim Auswärtsspiel in Schalke eine Weltklasseleistung. Von diesem Tag an war er die Nummer eins in Leverkusen.


    Oder war der 11. Oktober 2008 der wichtigste Tag im Torwart-Leben des René Adler? Das Debüt in der Nationalmannschaft gegen Russland, ermöglicht durch die Verletzung des Hannoveraners Robert Enke, des Bundestrainers eigentlicher Nummer eins. Aber es ist eben so, dass nicht jedes Spiel einen großen Torhüter produziert, selbst wenn es so spektakulär verläuft wie das von Adler beim 2:1-Länderspielsieg in Dortmund. Torhüter kämpfen immer alleine. Jeder Moment der Schwäche, der körperlichen Versehrtheit, eine überraschende Krise des Vereinsteams, wirft sie zurück an einen Punkt, den sie überwunden glaubten. Und die großartigste Leistung nützt nichts, wenn sie zum falschen Zeitpunkt kommt.


    Die Nummer eins im deutschen Tor zu werden, ist schwerer als die Nummer eins im chinesischen Tischtennis. Denn die Entscheidung fällt an einem Punkt, wo Leistung nicht mehr messbar ist. Keine Fußball-Nation verfügt über zwei junge Athleten wie René Adler (24) und den großartigen Schalker Manuel Neuer (23) gleichzeitig, mit einem Besessenen wie Tim Wiese (Werder Bremen) dazu, der auch erst 28 Jahre alt ist.
    Ein leidenschaftlicher Torhüter


    Aber die deutsche Nation sehnt sich nach d e r Nummer eins, die es derzeit nicht gibt - diesem Gefühl von Sicherheit, Erwartbarkeit, Halt. Und da ist jetzt dieses Spiel. Und die Nation ist bereit zur Entscheidung.


    Man kann René Adler alle Fragen zu diesem Thema stellen, er wird sich auf keine einlassen. Er hat das trainiert und dafür in Kauf genommen, als glatt und ausweichend zu gelten. Aber er ist nicht so. „Natürlich zeige ich verbal nicht die Emotionen wie Oliver Kahn“, erklärt der 24-Jährige, „aber ich bin ein leidenschaftlicher Torhüter, mit ganzem Herzen, und ich sage nach innen deutlich meine Meinung.“ Im Werksklub besitzt er längst eine Führungsrolle, seine Ziele sind hoch und klar definiert. Champions League spielen, irgendwann ins Ausland gehen. Aber vorher Nummer eins werden im deutschen Tor. „Ich habe mich immer nur auf das nächste Spiel konzentriert“, sagt René Adler, „und das werde ich auch diesmal tun.“ Zurecht. Denn es könnte sein wichtigstes werden.


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