KSTA: Bayer-Formcheck

  • Bayer-Formcheck
    Das Ziel ist Europa


    Von Christian Oeynhausen, 07.08.09, 10:37h



    Der Beginn der neuen Bundesliga-Saison ist zum Greifen nahe. Bayer 04 Leverkusen setzt auf einen erfahrenen Trainer, eine bessere Abwehr und den teuersten Neuzugang der Liga: die BayArena.


    Das Tor


    Hinter René Adler liegt ein für seine Verhältnisse durchschnittliches Jahr. Das neue begann mit dem Schock der Nichtnominierung durch Bundestrainer Joachim Löw. Der 24-Jährige ist bei Bayer 04 zum Wortführer geworden, legt sich schon mal mit dem Klub an, wenn ihm etwas stinkt, lebt neuerdings in einer WG mit seinem Bruder und nimmt sich Auftritte auf dem Boulevard, weil das Leben mehr zu bieten hat als zwei Pfosten und eine Latte - vor allem, solange man zwischen Pfosten und Latte Außergewöhnliches bringt.


    Die Abwehr


    Sami Hyypiä ist ohne Frage der prominenteste Neuzugang. Die zehn Jahre beim FC Liverpool sieht man seinem Spiel an: Der Finne entscheidet und handelt schnell, da macht es nicht viel, dass er kein Sprinter ist. Leverkusen hat furchtbar viele Kopfballtore kassiert, dass sollte mit dem 35 Jahre alten Riesen besser werden. Neben dem nervenstarken Hyypiä steht Manuel Friedrich, ein wichtiger Typ für die Mannschaft, dazu torgefährlich bei Standards und ein Experte darin, an Gegentoren nicht unmittelbar schuld zu sein. Trotzdem hat Bayer 04 viele (46) kassiert. Hinter dem Innenverteidiger-Duo Friedrich/ Hyypiä müssen sich der stets sehr begabte Stefan Reinartz und der leider verletzungsgeplagte Lukas Sinkiewicz anstellen. Außen links steht recht konkurrenzlos Michal Kadlec, der dynamische Tscheche, der laut Statistik die genauesten Flanken der Liga schlägt (oder hat Leverkusen die biegsamsten Abnehmer?). Rechts muss sich U-21-Europameister Gonzalo Castro dem Duell mit Neuzugang Daniel Schwaab stellen. Castro würde zwar lieber im Mittelfeld spielen, wird aber dort nur ausnahmsweise zum Zug kommen.


    Das Mittelfeld


    Hoher Spielkultur-Faktor mit Renato Augusto, der als brasilianischer Feintechniker neuerdings die Spielmacher-Nummer 10 trägt. Aber in der Zentrale ist Toni Kroos gesetzt. Seit zwei Jahren gilt der junge Mann als das größte Versprechen des deutschen Fußballs. Jetzt kann er es einlösen. Simon Rolfes ist weiter Kapitän und Organisator im defensiven Mittelfeld. Für keine Position gibt es so viele Alternativen für verschiedene taktische Varianten wie für diese - dabei gilt Rolfes als völlig unangefochten.


    Der Angriff


    Der Ausfall von Patrick Helmes, der beim Freizeitfußball einen Kreuzbandriss erlitt, hat alles verändert. Ohne dieses Unglück wäre Theofanis Gekas nicht zurückgekommen. Jetzt streitet der Grieche mit Neuzugang Eren Derdiyok um die zweiten Stelle im Angriff. Der lauernde Grieche gegen den eleganten Hünen - zurzeit Vorteil Derdiyok. Stefan Kießling hält den anderen Stammplatz. Was ihm an Gefühl im Fuß fehlt, gleicht er durch Energie und Einsatz aus.


    Das System


    Neulich hat jemand die Taktik von Bruno Labbadia ganz gelungen mit "Anlaufpressing" beschrieben, die Grundaufstellung konnte man eine "vertikale Doppelsechs" nennen - den Spielmacher raus aus der Mitte auf den Flügel und an seine Stelle eine grätschende Furie, die dem Gegner früh den Aufbau zertrampelt. Ein halbes Jahr ging die kraftmordende Nummer gut. Unter Jupp Heynckes geht es konventioneller zu: Raute. Fertig. Im Mittelfeld gibt es jetzt einen reinen Offensiv-Mann mehr (Toni Kroos für Arturo Vidal), dennoch will Leverkusen kompakter stehen und weniger konteranfällig sein. Klingt beim ersten Hören nach Quadratur des Kreises, wird aber auf dem Platz durch Einrücken der Außen, quasi Verkreisung der Raute möglich. Hä? Doch. Genau so.


    Kommen und Gehen


    Bernd Schneider spielt nicht mehr, der Letzte aus der Ära der vielen Vizemeisterschaften musste wegen seiner Rückenprobleme aufhören. Der Abgang der Verteidiger Henrique (FC Barcelona) und Karim Haggui (Hannover 96) wird durch Hyypiä und Reinartz voraussichtlich überkompensiert. Djakpa, Domaschke und Gresko spielten schon unter Labbadia keine Rolle, Charisteas nur eine kleine. Eren Derdiyok (zwischen 3,8 und fünf Millionen Euro) war der einzige ablösepflichtige Neuzugang. Aber fünf Neue stehen in oder dicht an der Startelf.


    Der Trainer


    Das Wichtigste für Jupp Heynckes war erst mal etwas Einfaches: Bloß nicht wie Labbadia sein. Heynckes setzt auf Eigenverantwortung und Einfühlungsvermögen, wo Labbadia sein Ding verbissen durchzog. "Er lässt viele Freiräume. Er strahlt eine angenehme Ruhe aus. Man hat das Gefühl, dass wir seine Jungs sind", sagt Torwart Adler. Und Heynckes' Alter? Die Regierung lässt die Leute bis 67 schuften, wenn sie die volle Rente wollen. Also ist gegen 64 Jahre alte Trainer ja wohl nichts einzuwenden.


    Das Umfeld


    Da die Rückrunde, in der Leverkusen gern einbricht, von der DFL nicht per se abgeschafft wurde, ruht die Hoffnung auf dem Heimvorteil im neuen Stadion. 70 Millionen Euro plus Toleranz habe man investiert, heißt es offiziell. Viel Geld für 8000 Plätze mehr, aber: Immer noch billiger als ein Cristiano Ronaldo. Und länger nutzbar. Trotz Misserfolgs hat der Werksklub so viele Dauerkarten verkauft wie noch nie. Der Konzern ist dichter an die Fußball-Tochter gerückt. Das drückt sich in der Neu-Besetzung der Klubkommunikation mit Bayer-Mann Meinolf Sprink aus. Und auch das rege Interesse das Gesellschafter-Ausschusses an der Abwicklung des Falls Labbadia zeigt, dass die Konzernherren dem Klubchef Holzhäuser und dessen Crew stärker auf die Finger schauen.


    Das Saisonziel


    Das Ziel heißt "Europa League". Für internationalen Fußball wurde das Stadion ausgebaut und nicht für - bei allem Respekt - Bochum und Nürnberg. Die Voraussetzungen sind günstig. Bessere Mannschaft, noch tollerer Trainer als letztes Jahr, tolles Stadion, tollste Umkleidekabine, 17 "echte" Heimspiele - langsam dürften Holzhäuser die Erklärungen ausgehen, wenn es wieder nicht klappt.


    Die Prognose


    Holzhäuser wird sich eine Erklärung einfallen lassen müssen.


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