Adler-Interview: Torwart ist ein wunderschöner Beruf

  • Torwart ist ein wunderschöner Beruf


    Erstellt 16.01.09, 16:09h, aktualisiert 16.01.09, 16:28h
    Im Trainingslager von Bayer Leverkusen in der Türkei sprach Nationaltorhüter René Adler ausführlich mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ - und bilanzierte ein für ihn äußerst turbulentes Sportjahr.


    Kölner Stadt-Anzeiger: Herr Adler, wie viele Handschuhe verbrauchen Sie im Schnitt?


    RENE ADLER: Ein bis zwei Paar pro Woche. Ich verschenke auch viele. Zum Spiel ziehe ich gern ein paar Neue an.


    Gerade hat die Wahl zum Welttorhüter 2008 stattgefunden: Iker Casillas hat vor Gianluigi Buffon und Edwin van der Sar gewonnen. Jens Lehmann ist Neunter, Sie sind Dreizehnter. Einverstanden mit dem Ergebnis?


    ADLER: Das ist eine sehr, sehr hochkarätige Wahl. Dort auf Nummer eins zu stehen, ist eine der größten Auszeichnungen überhaupt. Um dort unter die ersten Drei zu kommen, musst Du schon Nationaltorhüter sein und internationale Titel gewinnen wie Casillas. Er hat es absolut verdient. Er ist seit Jahren auf höchstem Niveau und er ist Europameister geworden. Ich war im letzten Jahr 17. oder 18. und bin also ein bisschen nach vorn geklettert. Das freut mich, denn ich konnte ja mit Bayer dieses Jahr leider nicht international spielen. Man kann sich nichts dafür kaufen. Aber es ist ein Anreiz, im nächsten Jahr weiter nach oben zu kommen.


    Sie sind jetzt Nationaltorhüter, Sie werden mehr beobachtet, haben mehr Druck. Wie gehen Sie damit um? Arbeiten Sie vielleicht versärkt im mentalen Bereich?


    ADLER: Zu einem arbeite ich viel im mentalen Bereich. Zum anderen habe ich mir vorgenommen, mich selbst nicht unter Druck zu setzen. Es ist richtig: Ich bin jetzt kein Newcomer mehr. Als Nationaltorhüter wächst der Druck von außen, durch Medien, durch Zuschauer. Aber das ist ja so gewollt, darauf arbeite ich ja hin. Deswegen will ich mir keinen inneren Druck machen. Ich gehe selbstbewusst und entspannt an die Sache ran und versuche, bei all der harten Arbeit und Trainingsfleiß die Freude nicht zu kurz kommen zu lasen. Man sollte sich immer vor Augen halten, dass es etwas Wunderschönes ist, diesen Beruf ausüben zu dürfen. Deswegen will ich die Tage nicht damit verschwenden, mir unnötig Druck aufzuerlegen.


    Ist diese Lockerheit bei der EM entstanden, durch die Zusammenarbeit mit Jens Lehmann und Robert Enke?


    ADLER: Nein, das nicht. Natürlich konnte ich von den beiden auch viel mitnehmen. Die EM war Gold Wert für mich. Da konnte ich dabei sein und lernen, ohne allzu große Verantwortung zu tragen. Dafür bin ich dankbar. Aber zu sagen, das ist dort entstanden? Nein. Ich habe mich einfach hingesetzt und festgestellt, dass es für mich besser ist, etwas gelassener an gewisse Dinge heranzugehen, zum Beispiel Medienarbeit. Es ist im Endeffekt nur Fußball, und ich versuche, nicht alles zu verkrampft zu sehen, ohne meine Ziele aus den Augen zu verlieren.


    Ein großes Ziel ist die WM 2010. Was kann für Sie noch schiefgehen?


    ADLER: Was schiefgehen könnte, damit beschäftige ich mich gar nicht. Ich beschäftige mich damit, wie ich dahin komme, dieses Ziel zu erreichen. Das tue ich jeden Tag, sei es im Training oder zuhause. Es ist klar der Konferenzkampf ausgerufen, das wurde ja oft genug thematisiert. Ich habe eigentlich keine Lust mehr, darüber zu sprechen. Forderungen zu stellen, ist nicht meine Art. Aber die WM in Südafrika ist mein großes Ziel. Dafür trainiere ich jeden Tag, und ich bin zuversichtlich, dass ich gute Karten habe, wenn ich meine Leistung bringe.


    Man kann sich nicht an einen wirklich eindeutigen, schweren Fehler, einen Aussetzer von Ihnen erinnern. Fürchten Sie diesen schwarzen Tag, weil sie wissen, dass er irgendwann kommen wird?


    ADLER: Es ist lustig, das jetzt immer wieder nach Fehlern gefragt wird, wenn ich Interviews gebe. Ich habe kein Problem, Fehler zuzugeben. Es ist eine Sache, die absolut menschlich ist. Man kriegt nicht den Kopf abgerissen, wenn einer passiert. Ich denke über Fehler gar nicht nach. Wenn man Angst hat, Fehler zu machen, ist man nicht frei und kann sein Spiel nicht spielen. Das ist dann schon der ersten Fehler. Dann hat man eigentlich schon verloren.


    Fühlen Sie als Kollege mit, wenn Sie so einen Fehler sehen, zum Beispiel den von Petr Cech im EM-Spiel Tschechien-Türkei?


    ADLER: Ohne Frage. Da bin ich zuallererst Torwart. Auch wenn es mal „die zehn größten Torwart-Pannen“ oder so etwas im Fernsehen gibt – ich kann mich da nicht kaputtlachen. Da fühle ich eher mit, als dass ich Schadenfreude empfinde.


    Bereiten Sie sich gezielt auf die gegnerischen Stürmer vor, vielleicht auf besondere Vorlieben beim Abschluss?


    ADLER: Nein, eigentlich nicht. Es geht eher um die Standards. Wie schießen sie die Freistöße, die Eckbälle? Da bekomme ich Videomaterial von unserer Scoutingabteilung. Man kennt sich ja auch. Wenn man oft gegeneinander gespielt hat, kennt man spezielle Bewegungsabläufe. Wenn es bestimmte, starke Muster gibt, wenn einer im eins-zu-eins immer versucht, am Torwart vorbeizugehen und nicht schießt, dann habe ich das im Spiel im Kopf. Aber tendenziell ist es ist ja so, dass sich die Situationen immer wiederholen, die hat man x-mal erlebt. Geht er an der Grundlinie durch und spielt dann den Rückpass oder macht er dies oder das. Das ist das Plus, was ältere Torhüter haben: Erfahrung. Man war schon viel öfter in bestimmten Situationen war. Und dann verhält man sich als 28-jähriger anders als mit 20. Das wächst mit den Jahren.


    Haben Sie als Torwart eine Schokoladenseite?


    ADLER: Nein. Das ist bei mir eher phasenweise. Wenn man irgendwo ein Wehwehchen hat, dann springt mal lieber zu anderen Seite, weil es sonst weh tut. Aber grundsätzlich kann ich nicht sagen. Das ist die Seite, zu der ich lieber springe.


    Wenn Sie da hinten stehen und den Vorderleuten zusehen: Wann merken Sie, dass es gleich noch mal Schwerstarbeit für Sie geben wird?


    ADLER: Es ist bei uns ja leider relativ oft so gewesen, dass wir gut angefangen haben und dann Schwächeperioden drin hatten. Sei es in der ersten Halbzeit oder verstärkt gegen Ende des Spiels. Wir haben noch nicht im Stil einer Spitzenmannschaft 90 Minuten lang unsere taktische Disziplin halten können. Daran arbeiten wir. Es gibt Phasen, da merke ich: Okay, in der nächsten Viertelstunde oder bis zum Abpfiff, wird es noch mal auf dich ankommen. Man kann als Torwart ganz gut einschätzen, das man noch einige Male gefordert sein könnte, wie viel Bälle noch aufs Tor kommen. Ich sage mir das dann auch: Da kommen vielleicht noch drei ,vier Bälle, da musst Du da sein. Man muss sich innerlich pushen, gerade wenn vorher nicht viel zu tun war für den Torwart.


    Ist es schwer, in Spielen, in denen Sie lange fast nichts zu tun haben, die Konzentration zu halten, zum Beispiel in den Partien gegen Hertha oder zuletzt Cottbus, wo sie fast eingefroren wären.


    ADLER: Das mit dem Einfrieren ist ja Quatsch. Du bist immer in Bewegung. Ich ändere ständig meine Position und versuche immer hinter dem Block zu stehen, um den langen Ball abzufangen. Es gibt Spiele, da laufe ich sieben Kilometer. Es ist also nicht so, dass ich da einfach stehe und gucke, was die Zuschauer machen. Es ist manchmal schwer, dass man im Kopf 100 Prozent da ist. Gerade gegen Cottbus, im letzten Hinrundenspiel, habe ich gemerkt, dass der Akku ziemlich leer war. Ich hatte ja wenig Urlaub im Sommer und gar kaum Zeit, mal Revue passieren zu lassen, was alles so passiert war in dem Jahr. Gerade die letzten Spiele in Gladbach oder gegen Cottbus, da werden die Spiele immer mehr Kopfsache. Es sind weniger die Beine, die nicht mehr so frisch sind. Es ist wirklich eine Frage der Einstellung, Kopfsache.


    Jetzt hatten Sie Zeit, alles Revue passieren zu lassen. Was ist herausgekommen?


    ADLER: Ich habe bewusst mal den Ball nicht angefasst und in einer ruhigen Minute mal nachgedacht, was alles so passiert ist in 2008. Die vielen Uefa-Cup-Highlights mit unserer Mannschaft zum Beispiel. Das ist immer wieder schön. Klar meckert man auch mal über den Reisestress. Aber jetzt, wo man nicht dabei ist, merkt man, wie schön das war. Man sieht andere Länder und Städte. Wir kriegen ja schon etwas mit, auch wenn es oft nur der Weg vom Stadion zum Hotel ist. Es ist schön, wenn man da einen Reiseführer hat, der ein bisschen was erzählt über die Stadt. Dann der verpasste Uefa-Cup-Platz im letzten Spiel, der Rauswurf von Michael Skibbe, die EM-Teilnahme, mein Länderspieldebüt, ein neuer Trainer – es ist sehr, sehr viel passiert im letzten Jahr und ich bin ja noch ein sehr junger Spieler. Das habe ich alles erstmal ein bisschen sacken lassen.


    Ihre Position im Verein hat sich auch verändert...


    ADLER: Ja, dessen bin ich mir bewusst. Ich trage viel mehr Verantwortung und ich will und muss den „jüngeren“ Spielern mit Hilfe zur Seite stehen. Wir haben eine sehr starke Mannschaft und wir stehen in der Pflicht, uns wie für den internationalen Wettbewerb zu qualifizieren. Das sollte für einen Verein wie Bayer Leverkusen immer der Anspruch sein.


    Das Gespräch führte Christian Oeynhausen


    ksta.de