Adlers Chance

  • Adlers Chance


    Von Christian Oeynhausen, 09.10.08, 16:56h, aktualisiert 09.10.08, 20:37h
    Schock für Robert Enke, verhaltene Freude bei Rene Adler: Der Torwart von Bayer Leverkusen steigt in der deutschen Fußball-Nationalmannschaft aller Wahrscheinlichkeit nach früher als erwartet zur deutschen Nummer eins auf.


    Wird gegen Russland wohl im Tor stehen: Rene Adler. (Bild: dpa)
    DÜSSELDORF - Mit leerem Blick steht Robert Enke in der Lobby des Düsseldorfer „Hilton“-Hotels, unter dem Arm einen Satz Röntgenbilder geklemmt, die linke Hand verbunden. Sein Gepäck bekommt er zum Wagen gebracht, dann verlässt der 31 Jahre alte Torhüter von Hannover 96 das Quartier des deutschen Nationalteams. Enke hat sich im Training bei einer Faustabwehr einen Kahnbeinbruch zugezogen, er wird mehrere Wochen ausfallen. Heute wird er operiert. Es ist mehr als ein verletzungsbedingter Ausfall. Der Schuss, der sein Handgelenk nach hinten aufbog, könnte Enkes Traum von der Nummer eins im deutschen Tor beenden.


    Bei seinem Klub, in Hannover, wird ihn Florian Fromlowitz vertreten. Aber wer ersetzt Enke am Samstag in Dortmund (20.45 Uhr, ARD) beim WM-Qualifikationsspiel gegen die Russen? Und am kommenden Mittwoch gegen Wales? In der Einladung zur täglichen Pressekonferenz machte der DFB aus der T-Frage eine Hitchcock-Nummer: Auf dem Podium sitzen heute Bundestorwarttrainer Andreas Köpke, Michael Ballack „und ein Torwart“.


    Schon die Aufwertung durch diesen Vorgang deutet darauf hin, dass hier die Grundsatzfrage nach der Nummer eins für die nächsten Jahre gestreift wird. Wer ist jetzt des Bundestrainers Herzblatt? Tim Wiese (26), der bullige Reflexkönig aus Bremen, der sein kölsches Herz auf der Zunge und ein mühsam unterdrücktes Schauflieger-Gen in den Zellen trägt? Oder René Adler aus Leverkusen, der von Kopf bis Fuß alles hat, was modernes Torwartspiel nach DFB-Philosophie ausmacht, der sich bisher psychisch unerschütterlich und im Außenauftritt brav gezeigt hat, aber etwas verletzungsanfällig ist? Ja: Adler hat die besseren Karten, Wieses Wahl wäre eine Sensation.


    Bundestrainer Joachim Löw gab gestern noch nichts bekannt: „Wir werden jetzt in aller Ruhe mit René Adler und Tim Wiese reden. Zudem setze ich mich mit Andreas Köpke zusammen, der die Leistungen der beiden intensiv beobachtet hat.“


    Es gehört zur bitteren Ironie der Torwartfindung für die Nach-Lehmann-Ära, dass erst Adler wegen einer Verletzung nicht am Konkurrenzkampf teilnehmen konnte und nun Enke. Ganz vorbei läuft sie, nicht zu vergessen, am Schalker Manuel Neuer, der nach einem Fußbruch am Comeback arbeitet.


    Enke habe sich gegen Belgien (2:0) und in den Qualifikationsspielen gegen Liechtenstein (6:0) und Finnland (3:3) leichte Vorteile erspielt, sagte Löw dieser Tage. Das hatte auch Adler eingesehen. Allerdings handelte es sich wohl eher um einen reinen Platzhirsch-Vorsprung als um einen Unterschied in der Qualität. Enke stand eben bereit und machte nichts falsch. „Es tut mir wahnsinnig leid für Robert, denn wir verstehen uns auch privat gut. Ich bin keiner, der sich über Verletzungen freut. Aber im Fußball ist es nun mal so, dass man wegen Roter Karten und Verletzungen seine Chancen bekommt“, sagte Adler.


    Am Samstag könnte der 23-Jährige sein Debüt im Nationaltrikot geben. Es kommt selten vor beim DFB, dass ein neuer Torwart in einem immens wichtigen Pflichtspiel zum ersten Mal eingesetzt wird. Der letzte war der im Mai verstorbene Heinrich Kwiatkowski, der Vertreter von Toni Turek. Der Dortmunder bestritt sein erstes Länderspiel bei der WM 1954 beim 3:8 gegen Ungarn.


    Kwiatkowski blieb immer Reservist. Adler dagegen gilt als Mann der Zukunft, die Frage ist nun, ob sie schon im Vorlauf der WM 2010 beginnt oder erst danach. Was wird im ersten Fall mit Enke? Kaum vorzustellen, dass er mit 31 noch am Platz auf der Bank interessiert ist. „Mit der Diskussion kann ich mich beschäftigen, wenn ich wieder gesund bin“, sagte der enttäuschte Hannoveraner gestern. Falls die Diskussion so lange wartet.



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