Der König der Haken

  • Der König der Haken
    VON FRANK NÄGELE, 04.06.07, 20:09h


    Der Leverkusener hat trotz der sommerlichen WM-Strapazen eine überragende Saison gespielt.


    Hamburg - Am Ende zweier irrer Fußball-Jahre, zwischen denen der Wahnsinn einer deutschen Weltmeisterschaft lag, sitzt Bernd Schneider auf dem DFB-Podium wie ein Profi, der in dieser Zeit kaum eine Minute spielen durfte. Während er leise die typischen kurzen Schneider-Sätze sagt, wandern die Augen ungeduldig im Saal umher, als suchten sie einen Ball. Was könnte man jetzt alles damit anstellen. Hochhalten, auf dem Spann tanzen lassen, auf dem Knie, auf dem Kopf, Übersteiger, den Nächstbesten tunneln. Aber da ist kein Ball im Hamburger Congress Centrum, nur ein Haufen Menschen, die die Antwort auf eine solch langweilige Frage erwarten, warum ausgerechnet er noch fit ist, während fast alle andere Fußballstars des Landes lahmen, hinken, im Bett liegen oder eigentlich da hin gehören.


    Dabei hat Oliver Bierhoff, der Team-Manager der Fußball-Nationalmannschaft, diese Antwort vor dem EM-Qualifikationsspiel gegen die Slowakei in der AOL Arena (Mittwoch, 20.30 Uhr, live in der ARD) schon gegeben. Schneider, das ehedem schlampige Genie, dessen Vorliebe für heimliche Zigaretten berühmt war, hat sich zum Fitness-Model des deutschen Fußballs entwickelt. „Anfangs war er bei diesem Thema sehr skeptisch“, erklärt Bierhoff, „aber mittlerweile hat sich der Bernd zu Hause sogar einen eigenen Fitness-Raum eingerichtet.“ Das mit dem Raum mochte Schneider zwar nicht bestätigen, den Rest aber schon. „Ich habe vor der WM gemerkt, dass ich Defizite hatte und dass mir die Übungen gut tun. Nach der WM konnte ich mich in Leverkusen gezielt aufbauen“, berichtet er, „außerdem hat mir meine Erfahrung von der WM 2002 geholfen. Ich wusste, was auf mich zukam. Damals haben ja auch alle darauf gewartet, dass sie nach dem 14. oder 15. Spiel in ein Loch fallen. Irgendwann sind sie auch reingefallen, also hab ich da gar nicht drauf gewartet.“


    Der König der Haken und Drehungen behandelt den körperlichen Verschleiß wie einen seiner plattfüßigen Gegner auf dem Fußballplatz. In einem Interview wurde Scheider dieser Tage damit konfrontiert, dass 16 von 23 Spielern des WM-Kaders im Laufe der Saison mehr oder weniger schwer verletzt waren. Seine Antwort: „Dann gehöre ich wohl zu den anderen sieben.“


    Oliver Bierhoff macht es sehr nachdenklich, dass Profis wie Bernd Schneider die Ausnahme sind im deutschen Fußball: „Die große Zahl Verletzter beunruhigt uns schon." Nur zehn WM-Spieler stehen in Hamburg noch im Aufgebot. „Wenn ich sehe, dass in Ligen wie England und Italien, die keine Winterpause haben, die Nationalspieler wie zuletzt im Champions-League-Finale fit über den Rasen toben, muss man sich schon Gedanken machen.“ Bierhoffs Unbehagen richtet sich nicht gegen die Arbeit der medizinischen Abteilungen („die sind in Deutschland gut“), sondern gegen die Art, wie überbeanspruchte Fußballer im Sommer gleich wieder belastet werden. „In München musste Lukas Podolski aus dem Urlaub heraus ins Flugzeug steigen zu einem Spiel nach Japan, so etwas ist gar nicht gut“, sagt der Team-Manager. Komischerweise fängt sich Bierhoff in dieser Frage eine Gegenmeinung ausgerechnet von dem ihm nahe stehenden Jens Lehmann ein. „Ich kann das nicht bestätigen“, widerspricht der Torhüter, „in England gibt es auch sehr viele Verletzte, manche spielen nur, weil sie sich irgendwie fit machen lassen. Die medizinische Betreuung ist in Deutschland ohnehin sehr gut, da komme ich ganz gerne immer wieder zurück.“


    An Bernd Schneider gehen solche Diskussionen einfach vorbei. 51 Spiele hat er in der fast abgelaufenen Saison absolviert. 31 in der Bundesliga, zwölf im Uefa-Pokal, sechs mit der Nationalmannschaft und zwei im DFB-Pokal. Seine Fähigkeit, sich dabei nicht abzunutzen, hat zur Folge, dass der 33-Jährige in der letzten Partie des Fußball-Jahres wieder als Kapitän für Deutschland auftritt. „Das ist schon eine große Ehre für mich“, sagt der offensiv-defensive Links-Rechts-Zentralmittelfeldspieler bescheiden, „wir müssen jetzt sehen, dass wir die Saison ordentlich abschließen.“


    Er selbst ist bereits einer der großen Sieger. Der Mann ohne schlechte Eigenschaften. Immer da, immer gesund, immer voller Spielwitz, immer uneitel, immer skandalfrei. Eigentlich der perfekte Fußballer des Jahres. Allerdings ist die Frage, wie man den Praktiker Schneider für eine solch theoretische Auszeichnung begeistern könnte. Das ginge nur mit einer Prämie. Und die müsste rund sein. Ein Ball.


    ksta