Renaissance der alten Recken

  • Leverkusen ist die erfolgreichste Rückrundenelf, weil Trainer Skibbe auf die erfahrenen Nowotny und Ramelow hört


    von Jens Bierschwale


    Berlin - Zum Schluß gab Carsten Ramelow sein letztes Hemd, was durchaus bemerkenswert war nach einem Spiel, das beide Trainer unisono als "Fußball paradox" einstuften. 5:1 (3:1) hatte Bayer Leverkusen bei Hertha BSC gewonnen, Ramelow war sein erstes Saisontor ausgerechnet in seiner Heimatstadt geglückt und hinterher stellte sein Trikot den Trostpreis für einen enttäuschten Berliner Fan dar. Ramelow schenkte es gern her.


    Am Kapitän von Bayer Leverkusen läßt sich trefflich der Aufschwung festmachen, den der rheinische Klub in den vergangenen Monaten nahm und der ihn nun geradezu in den Uefa-Cup führen dürfte. Seitdem der zwischenzeitlich auf die Bank abgeschobene Defensivstratege im neuen System von Trainer Michael Skibbe wieder mittun darf, läuft es. Der Erfolg in Berlin war schon der sechste Sieg in Serie für die lange Zeit darbenden Leverkusener, die nun - zum Ende der Saison - ihr wahres Gesicht zu zeigen scheinen. "Wir standen mächtig unter Druck, das war ein toller Sieg", sagte Ramelow. "Wir haben genau zum richtigen Zeitpunkt zugeschlagen und bei den Toren unsere Klasse gezeigt. Das zeichnet die Mannschaften aus, die ganz oben stehen."


    Dabei war Leverkusen trotz des klaren Resultats nicht besser gewesen. Aber wie schon beim 2:0 in Hamburg vor elf Tagen scheint Bayer derzeit das gesamte Glück der Liga auf sich zu vereinen. Hertha scheiterte trotz klarer Chancen mehrfach, am Ende wäre auch ein 5:5 oder 7:7 möglich gewesen. Die Realität indes sieht nach den Toren von Juan (5.), Berbatov (27., 28.), Ramelow (63.) und Schneider (76.) bei einem Gegentreffer von Marcelinho (41.) anders aus: Mit nunmehr 31 Punkten ist Bayer Leverkusen das erfolgreichste Team der Rückrunde und besitzt vor den letzten beiden Spielen fünf Zähler Vorsprung auf den ärgsten Verfolger im Rennen um einen Uefa-Cup-Platz. "Es kann eigentlich keine andere Mannschaft außer uns geben, die am Ende auf Platz fünf steht", sagte Ramelow.


    Verantwortlich für die Renaissance am Rhein zeichnet Trainer Skibbe. Der heuerte vor dem neunten Spieltag in Leverkusen an, gab mit nur einem Sieg bis zur Winterpause einen mäßigen Einstand und hat nun sein spätes Glück gefunden. "In der kompletten Hinrunde haben wir nicht die Kurve gekriegt", sagte Skibbe, "das haben wir erst in der Rückrunde geschafft."


    Auch, weil der Trainer seine taktische Vorlieben änderte. Statt eines Zwei-Mann-Angriffs mit Berbatov und Woronin stellte er auf einen Dreier-Sturm mit Berbatov in der Mitte und Freier sowie Barnetta auf den Außenpositionen um. Dahinter verteilt Schneider die Bälle, Rolfes und Ramelow sichern ab. "Vielleicht war die schlechte Hinserie vonnöten", sagte Rolfes. "Wir hatten schließlich einen Umbruch in der Mannschaft zu vollziehen."


    Daß nun ausgerechnet zwei Routiniers die Säulen beim Umbau sind, ist wohl eine Reminiszenz an glanzvolle Bayer-Jahre. Neben Ramelow überzeugt seit Wochen auch der nach zwei Prozessen gegen den Verein begnadigte Jens Nowotny in der Innenverteidigung. Ihre Meinung zählt, und anders als in der Hinrunde baut Skibbe nun offenbar bei taktischen Ausrichtungen auf die Einschätzung der dienstältesten Spieler (seit 1996 im Klub). "Unser System funktioniert hervorragend", sagte Ramelow. "Wenn jeder mit Leidenschaft und Disziplin auftritt, sind das die Erfolgsgaranten für eine gute Saison. Und genau das haben wir vorher nicht gezeigt."


    Die WELT