Hoffnung im Mittelmaß

  • BUNDESLIGA-KOMMENTAR


    Hoffnung im Mittelmaß


    Von Peter Ahrens


    In den vergangenen Tagen konnte man fast vergessen, dass bei Bayer Leverkusen auch Fußball gespielt wird. Die Schlagzeilen bestimmen ein massiger Ex-Manager und Manipulationsgerüchte. Aber, und das zeigte der Bayer-Sieg in Stuttgart: Rund um den Verein wird gute Arbeit geleistet.



    Obwohl dieser Text sich um Bayer Leverkusen dreht, soll es im Folgenden vorrangig um Fußball gehen. Kein Schering, kein Calmund. Zweite Bemerkung vorweg: Dies wird eine Ehrenerklärung. Die üblichen Bayer-Hasser, die sich mit dem gängigen Wortarsenal Plastikclub, Konzernfiliale, Betriebssportgruppe ausgerüstet haben, mögen sich derweil am VfL Wolfsburg abarbeiten. Die Ära des Größenwahns, der in der Figur des Ex-Managers die optische Entsprechung hatte, ist in Leverkusen glücklicherweise vorbei. Ein guter Moment anzuerkennen, was rund um den Verein geleistet wird.


    Es ist wahr: Ich kenne in meinem Dunstkreis der Enddreißiger niemanden, der sich eine emotionale Nähe zu Bayer Leverkusen nachsagen ließe. In dieser Altersgruppe war sympathiemäßig das Fell zwischen Gladbach, HSV, Schalke, meinetwegen auch Bayern bereits auf ewig verteilt, bevor Leverkusen die Bundesliga-Bühne betrat, und für die sportliche Abteilung eines Konzerns war Naserümpfen die einzig adäquate Reaktion. Eine Haltung, die die meisten von uns bis heute konsequent durchgehalten haben.



    Aber unter den Kindern meiner Bekannten sieht das vollkommen anders aus. Bei den Sechs- bis Zwölfjährigen grassiert Leverkusen-Fanfreundschaft. Für diejenigen, die erst in den vergangenen zehn Jahren ihre Fußballsozialisation erhalten haben, ist Bayer ein Verein fast wie Bayern oder Gladbach in den Siebzigern. Leicht befremdet haben Eltern Poster von Ulf Kirsten oder Carsten Ramelow in den Zimmern ihrer Kinder zu dulden, so wie wir früher in unserer kindlichen Arglosigkeit Rainer Bonhof plakatiert haben. In 15 bis 20 Jahren werden sich postpubertäre Fußballpop-Journalisten feuchten Auges an Hans-Peter Lehnhoff und Jan Heintze erinnern, wie wir es heute mit Calle del' Haye und Christian Kulik tun.


    Eingeheiratet in die Bundesliga-Familie


    Letztens hat mir ein holländischer Freund, ohne mit der Wimper zu zucken, kundgetan, das beste deutsche Vereinsteam, das er in den vergangenen 20 Jahren gesehen habe, sei die Bayer-Elf des Jahres 2002 unter Trainer Toppmöller mit Ballack, Lucio et cetera gewesen. Ich weiß nicht, ob das nur eine holländische Gemeinheit gegenüber allen FC Bayern-Fans sein sollte. Aber er klang sehr ernsthaft dabei.


    Vergleiche mit dem VW-Club aus Wolfsburg verbieten sich daher. Natürlich gibt es Parallelen: die Fixierung auf mediokre Südamerikaner, die beiden Vereinen zu eigen ist, die Aura der Fußgängerzone der achtziger Jahre, die die beiden Städte umgibt, Klaus Augenthaler - aber während Wolfsburg ein Verein bleibt, dem es niemals gelingen wird, das Etikett des gefühlten Zweitligaclubs loszuwerden, ist Leverkusen längst in die Bundesliga-Familie eingeheiratet.



    Es stimmt: Bayer ist zurzeit keine Spitzenmannschaft, erstmals seit Jahren nicht, man hat den Trend des deutschen Fußballs zum gehobenen Mittelmaß mit vollzogen, zuletzt gegen Bielefeld und Mainz verloren. Trotzdem besteht Hoffnung. Verknüpft ist sie ausgerechnet mit dem Namen Michael Skibbe - der breiteren Öffentlichkeit bislang zuvorderst als derjenige bekannt, der zu Nationalmannschaftszeiten mit treudeutschem Augenaufschlag gegenüber den öffentlich-rechtlichen Mikrofonhaltern die Pausenansprache seines DFB-Kumpels Rudi Völler exekutierte ("Wir haben in der ersten Halbzeit das Spiel im Griff gehabt, es aber verabsäumt, die nötigen Tore zu machen. Das wollen wir jetzt nachholen").


    Mutige Maßnahmen


    Die Skepsis gegenüber dem neuen Trainer war zu Amtsantritt im Herbst denn auch groß. Zu klar schien es, dass er den Job lediglich seiner Nähe zu Bayer-Sportdirektor Völler verdankt. Seine bekannt nervtötenden Wortgirlanden bei Interviews taten ihr Übriges. Die ersten sportlichen Resultate waren dementsprechend. Von einem Ruck, der durch Leverkusen zu gehen hat, war unter dem neuen Übungsleiter lange nichts zu merken. Skibbe - alles andere als der Weiße Ritter, von dem im Moment in Sachen Bayer so viel die Rede ist.




    Peter Ahrens, 39, lebt und arbeitet als Freier Journalist in Berlin. Er schaut auf eine kurze wie erfolglose Karriere als Linksaußen bei Sportfreunde Paderborn zurück.

    Mittlerweile hat der Trainer Zeit gehabt, ein neues Team zu bauen, und es stellen sich kleine Erfolge ein. Den Mut, einen Jens Nowotny, der bei Verein und Fans komplett unten durch war, in Leverkusen wieder salonfähig zu machen, muss man erst einmal haben. In diese Kategorie gehört auch die Maßnahme, einen Carsten Ramelow auch mal auf die Bank zu verbannen, ein Spieler, der seit Jahren aus nicht nachvollziehbaren Gründen von jeglichen Personalrochaden im Stammteam verschont geblieben war. Berbatow trifft wieder, die jungen Clemens Fritz und Simon Rolfes sind Stützen des Teams geworden, Paul Freier verkörpert wieder etwas, was irgendwann gar Selbstbewusstsein genannt werden könnte. In der kommenden Saison kommt zudem mit Stefan Kießling derjenige Spieler, der zurzeit in Deutschland zu den größten Hoffnungen Anlass gibt.


    Möglicherweise rettet sich das Team am Ende auf einen Uefa-Cup-Platz. Bei der Instabilität der Konkurrenz aus Berlin, Dortmund, Gladbach oder Hannover, gegen die Bayer allesamt noch anzutreten hat, ist das absolut möglich. Dann wäre das Saisonziel erreicht und Ruhe im Club - sofern Sportskamerad Calmund das zulässt. Aber wir wollten ja nur über Fußball reden.





    Spiegel online von heute