Die Kadettenschule macht zu (über Kroos & FC Bayern, aus der SZ)

  • Die Kadettenschule macht zu


    Nur keine Unruhe: Der Wechsel von Toni Kroos steht auch für einen Politikwechsel beim FC Bayern. Klinsmanns Zeit als Jugendleiter ist erst einmal vorbei.


    Von Andreas Burkert


    Hamburg ist Piotr Trochowskis Stadt, und dass er dort inzwischen an großen Spielen teilnimmt, findet er stets aufs Neue "großartig, wenn ich daran zurückdenke, wo ich herkomme". Der Mensch Trochowski stammt ja aus Tczew in Polen, nach der Wende ging seine Familie in den Westen und lebte in einer Sammelunterkunft am Hamburger Hauptbahnhof; heute wohnt er mit seiner Verlobten in Lokstedt.


    Der Fußballprofi Trochowski stammt allerdings aus München, fünfeinhalb Jahre ist er beim FC Bayern ausgebildet worden, und daran hat man sich am Wochenende gleich mehrfach erinnern müssen. Zunächst am Freitagabend, als Trochowski herausragte aus einem temporeichen und hochklassigen Duell des HSV mit den am Ende unglücklich unterlegenen Bayern. Und dann nochmal am Samstag, als der Wechsel von Toni Kroos nach Leverkusen offiziell wurde.


    Trochowski, 24, ist inzwischen ein geachteter Nationalspieler, während Kroos seit 2007 als größtes Talent in Fußballdeutschland gilt. Damals führte er als Kapitän die DFB-Auswahl bei der U17-WM auf Rang drei und wurde zum besten Turnierspieler gewählt. Für Kroos werde die Nummer 10 reserviert, sagte Manager Uli Hoeneß, und wenn der es nicht schaffe bei Bayern, wer dann?



    Insofern hat das bereits am Freitag ruchbar gewordene Ausleihgeschäft des 19-Jährigen durchaus den Rang einer spektakulären Personalie, denn sie steht auch für einen Politikwechsel in München. Hoeneß formuliert ihn ohne großes Bedauern, indem er sagt: "Du kannst nicht die Champions League gewinnen wollen und gleichzeitig fünf Junge einbauen - ist eben so."


    Fünf Junge, das hat Hoeneß vielleicht nur so dahergesagt. Andererseits stimmt die Rechnung sogar: Der Mittelfeldspieler geht nun für anderthalb Jahre zu Bayer 04; Marcell Jansen, 23, wurde zu Saisonbeginn an den HSV verkauft, Lukas Podolski, 23, zum Sommer nach Köln. Zudem ist soeben Verteidiger Georg Niedermeier, 21, Kapitän der Reserve, bis 2010 nach Stuttgart ausgeliehen worden, und mit Dortmund verhandelt Hoeneß über den endgültigen Verkauf von Innenverteidiger Mats Hummes, 21.


    Zu Wochenbeginn, nach dem 5:1 im Pokal beim VfB, hatte Trainer Jürgen Klinsmann noch gesagt, wenn "sich nun auch unsere Jungen noch steigern", bleibe Bayern klar tonangebend. Ein paar Tage später indes findet sich der Meister auf Platz vier der Tabelle wieder. Und der im Sommer auch zum Jugendleiter ausgerufene Jungtrainer Klinsmann schließt einstweilen die Kadettenschule. An Klinsmann liege das sicher nicht, sagt Hoeneß. Sondern an den Gesetzen des Geschäfts Fußball. Dort zähle nur der Erfolg.


    Es ist also alles sehr schnell gegangen vergangene Woche mit Kroos. 2006 von Hansa Rostock gekommen, debütierte er im September 2007 als bisher jüngster Bayern-Spieler in der Profielf. Im Hinspiel gegen den HSV stand Kroos in der Startelf, es folgten nur ein weiterer Einsatz von Beginn an und fünf Einwechslungen. Zu wenig für den technisch versierten Teenager, dessen Vater, ein Jugendtrainer bei Hansa, seit Monaten energisch um ein Leihgeschäft ersuchte; sein Ton war ebenso selbstbewusst wie das interne Auftreten des Filius'. Und wenn der FC Bayern eines zurzeit nicht gebrauchen kann, dann ist es Unruhe.


    Denn zu unwägbar ja ist weiterhin, was letztlich aus dem Projekt Klinsmann wird, diese Erkenntnis haben die Bayern in Hamburg gewonnen. Hinzu kommen die Diskussion um Hoeneß' Nachfolge (wobei der Abschied des Managers zum Jahresende längst nicht fix erscheint), Ribérys verbale Extratouren sowie die Unzufriedenheit von Spielern wie Kroos und dessen direkten Konkurrenten Borowski, Altintop oder Sosa.


    "Du brauchst keinen großen, sondern einen kleinen, schlagkräftigen Kader", findet Hoeneß, "und nicht, dass du freitags von der Presse vorgeführt wirst: ,Warum spielt denn der nicht?'" Sosas geplatzter Transfer nach Palermo habe ihn aktiv werden lassen: "Wir haben von uns aus ein paar Vereine angerufen, die Interesse hatten."


    Stuttgart lehnte am Rande des Pokalspiels am Dienstag noch ab mit dem Hinweis, bereits Timo Gebhart (1860 München) verpflichtet zu haben. In Leverkusen wurden die Bayern am Mittwoch aber rasch fündig, zumal der dortige Manager Michael Reschke, ein Experte des Jugendfußballs, schon immer Kontakt zur Familie Kroos gehalten hatte. "Wir waren überrascht, als der Uli anrief", erzählt Geschäftsführer Wolfgang Holzhäuser, "denn normal sieht uns Bayern ja schon als sportlichen Konkurrenten - und da macht man so etwas eigentlich nicht." Und Leverkusens Manager Rudi Völler sagt: "Es gab kaum einen Verein, der Toni nicht gern gehabt hätte - aber er wollte unbedingt zu uns."


    Die Konkurrenz vielleicht zu stärken, das sei ihm letztlich egal, sagt Hoeneß, "uns war es nur wichtig, dass Toni zu einem Verein kommt, der offensiven Fußball spielt". In München wäre Kroos wieder wochenlang in der Defensive gewesen: Nach einer Fußverletzung arbeitet er sich gerade erst wieder heran, an die Bank. Hoeneß: "Das wollte wir nicht."


    Trochowski haben die Bayern im Frühjahr 2005 an den HSV verkauft, "viel zu billig", wie er übrigens heute selbstsicher sagt. Doch im damaligen Umbruch trauten ihm die Münchner keine tragende Rolle zu. Kroos geht nun ebenfalls in unsicheren Zeiten, aber nicht für ewig, wie Hoeneß betont: "Unser Ziel ist es nicht, die Zusammenarbeit mit ihm zu beenden - sondern sie zu forcieren. Wir wollen Toni, wie früher mal Markus Babbel oder Philipp Lahm, als fertigen Spieler zurückhaben." Das wäre sogar schon zum Sommer möglich, Kollege Holzhäuser eröffnet: "Ja, da gibt es eine Ausstiegsklausel, dann bekämen wir eine Aufwandsentschädigung."


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