Eine Chance für Adler

  • Eine Chance für Adler
    VON CHRISTIAN LÖER, 21.05.08, 21:07h


    Palma - In diesem Trainingslager der deutschen Fußball-Nationalmannschaft ist Fußball bisher allenfalls auf der Playstation gespielt worden. Nationalstürmer Patrick Helmes etwa behauptet, dass niemand auf der Welt besser sei in „Pro Evolution Soccer“ als er. Obwohl es Menschen gibt, die das bestreiten.


    Kontakte mit realen Fußbällen hatten die deutschen Auswahlspieler in diesen ersten Tagen der EM-Vorbereitung auf Mallorca zwar noch nicht, dennoch waren Bälle im Spiel: Am Dienstag und Mittwoch rief Bundestrainer Joachim Löw (48) seine Spielerschar zu jeweils 75-minütigen Basketball-Einheiten zusammen. Und weil beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) alles seinen Sinn und Ernst hat, war auch das Basketballspiel nicht zur Gaudi gedacht. Ein Fußball-Nationalspieler kann auf dem Basketballplatz eine Menge lernen. Zum Beispiel effizientes Verteidigen.


    Als Löw vor zwei Jahren den deutschen Profis in der Vorbereitung auf die WM einem Grundkurs im Verteidigen zu viert unterzog, ging es vornehmlich um Basiswissen. Löws Unterweisungen waren fruchtbar: Die DFB-Viererkette stabilisierte sich im Turnierverlauf, Löw durfte zufrieden sein mit seinem Werk. Nun legt der Bundestrainer den Fokus offenbar verstärkt auf das Abwehrverhalten der gesamten Mannschaft, und da fasziniert ihn, wie es Basketballspielern gelingt, ihre Gegner zu kontrollieren, ohne die Regeln zu brechen. Fairness ist Löw wichtig, sie gehört zu seiner Taktik, denn: „Foul stoppt Pressing.“ Die deutsche Mannschaft kassiert zu viele Freistöße gegen sich - und oft entscheiden solche Standards enge Spiele. „Wir müssen weg vom Prinzip des teutonischen Eisenfußes. Fußball ist zwar ein Kampfspiel. Aber kein Kampfsport.“


    Um das Zweikampfverhalten eines Basketballers in die Welt der Fußballer zu transportieren, hielt sich Löw nicht mit halben Sachen auf, sondern beauftragte gleich den ehemaligen Basketball-Nationalspieler Denis Wucherer (35) mit der Anleitung seiner Leute. „Er hat auch einen Trainerschein. Das Prinzip beim Basketball ist, nah am Gegner zu sein. Und so sollte man auch im Fußball seine Zweikämpfe führen. Es geht um Ballgewinn, nicht darum, das Spiel zu stoppen.“


    Herausragende Akteure auf dem Basketballplatz am Mannschaftshotel „Son Vida“ in den Hügeln vor Palma waren der lange Innenverteidiger Per Mertesacker (Löw: „Der muss ja auch nicht so hoch springen“) und Tim Borowski. „Es ist beeindruckend, was die Spieler für ein Ballgefühl haben“, kommentierte Löw.



    Eines der Sprungmonster im Kader ist René Adler, der Torhüter von Bayer 04 Leverkusen. Doch nicht nur seine Qualitäten als Basketballer sind dem Bundestrainer aufgefallen. Adlers Berufung stellt Löw als einen logischen Vorgang ohne Alternative dar. „Nach seinen Leistungen in der vergangenen Saison war doch klar, dass er dazugehören würde. Er entspricht perfekt dem Bild des modernen Torhüters“, sagt Löw. Adlers Leistungen haben Löw offenbar dazu gebracht, ein neues Rennen um den Platz im Tor zu starten. Eine Garantie für Jens Lehmann wird es vor der EM jedenfalls nicht geben. „Wir warten jetzt mal ab. Es gibt keinen Grund, jetzt eine Reihenfolge festzulegen“, sagte der Bundestrainer am Mittwoch - eine ziemliche Überraschung. Andererseits hat Löw ja recht: Der Kampf zwischen Oliver Kahn und Lehmann vor der WM 2006 schwächte keinen der Kandidaten, und am Ende spielte Lehmann ein hervorragendes Turnier. Warum also nicht noch einmal? Außerdem hat Löw Gründe, an Lehmanns Form zu zweifeln. Beim FC Arsenal hat der 38-Jährige in der abgelaufenen Saison kaum noch gespielt, während Adler (23) in Leverkusen überragte. „Wenn Jens sich in Top-Verfassung präsentiert, dann kann man davon ausgehen, dass er spielt“, sagt Löw. Was aber auch sicher scheint: Zeigt Lehmann Schwächen wie etwa beim Länderspiel im Februar gegen Österreich, dürfte Adler schon früher als erwartet die deutsche Nummer eins werden.



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