Der Bonus, der einem Trainer zusteht

  • Von Klaas Bender, Leverkusen
    19.5.2008 0:00 Uhr


    Leverkusens frustrierte Führung macht Skibbes Zukunft von einer „knallharten Aussprache“ abhängig


    Da standen sie dann also – enttäuscht, schockiert, frustriert – vor den Trümmern einer ganzen Saison. Am liebsten hätten sie wohl ein tiefes Loch gegraben, um sich darin zu verstecken, statt nun aller Welt geschliffene Kommentare zu liefern über die Gründe, vor allem aber die derzeit noch nicht ganz absehbaren Folgen ihres grandiosen Scheiterns. Unmittelbar nach dem 0:1 gegen Werder Bremen, das Bayer Leverkusens Abschied vom internationalen Fußballgeschäft besiegelt hatte, war Sportdirektor Rudi Völler abgetaucht. Zwei Stunden lang war er nicht zu sehen, ehe er schließlich doch noch im Bayer-Vip-Zelt auftauchte, wo bei Kölsch, Wein und gutem Essen die Wunden geleckt wurden, die das Verpassen der Uefa-Cup-Qualifikation, ja sogar des UI-Cups, gerissen hatte. „Es war zu spät“, sagte Völler, äußerlich gefasst zwar, aber dennoch sichtbar angeschlagen. „Das Endspiel“, das sich die Leverkusener nach einem desaströsen letzten Bundesligadrittel eingebrockt hatten, ging verloren.


    Dass der Platz im internationalen Fußball nicht erst gegen Werder verpasst worden war, darüber waren sich alle einig – sowohl Völler, Trainer Michael Skibbe als auch Geschäftsführer Wolfgang Holzhäuser. Letzterer musste in Ermangelung des für diese Rolle eigentlich vorgesehen Sportdirektors mit spürbarem Unbehagen über die Zukunft des Trainers reden. „Ich bin überzeugt, dass er gute Arbeit leistet. Aber es geht immer darum, wie viel Bonus ein Trainer hat“, sagte Holzhäuser.


    Bei den Fans nicht viel. Denn nicht zum ersten Mal schallten am Samstag wütende „Skibbe-raus“-Rufe durch die Arena. „Der Schuldige ist im Profifußball immer sehr schnell ausgemacht. Das ist total unangenehm, aber es gehört halt dazu“, sagte der Betroffene. Der 42-Jährige ist aber überzeugt davon, dass die Bayer-Verantwortlichen nüchtern entscheiden werden. „Ich gehe davon aus, dass ich auch im kommenden Jahr hier noch Trainer bin.“


    Aber diese These wollte keiner der Verantwortlichen bestätigen. Völler erklärte zwar, dass sich die Führung von aggressivem Geschrei bestimmt nicht leiten lasse. „Bei aller Liebe: Dann könnten wir ja gleich per SMS abstimmen lassen.“ Gleichwohl kündigte er „eine knallharte Aussprache“ an, der auch Skibbe höchst realistisch entgegen blickt: „Da werde ich vieles zu erklären haben.“


    Vor allem natürlich, wie es einer hochbegabten Mannschaft, der man über weite Strecken einer langen Saison neben den Bremern den schönsten Fußball der Liga attestierte, gelingen konnte, noch so abzustürzen. „Wir haben viel zu viel Aufwand betrieben für das, was am Ende dabei herauskam“, sagte Tranquillo Barnetta selbstkritisch. Der Schweizer Nationalspieler hätte gegen Werder mit einer Aktion wenigstens die Qualifikation für den UI-Cup retten können. Doch bei seinem 25-Meter-Schuss traf der Ball nur den linken Pfosten des Bremer Tores. Der Flachschuss von Markus Rosenberg traf dagegen nicht bloß ins Leverkusener Tor , sondern auch mitten ins Bayer-Herz. „Die Enttäuschung sitzt tief“, sagte Holzhäuser. „Das muss ich erst mal verarbeiten.“ Damit steht er nicht allein da in Leverkusen. Doch allen gemeinsam muss eines klar sein: Viel Zeit zum Trauern bleibt nicht.


    (Erschienen im gedruckten Tagesspiegel vom 19.05.2008)




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    Mittelfeld-Anführer


    Nach der 0:1-Niederlage gegen Werder Bremen rutscht Bayer Leverkusen von Rang vier auf sieben und verpasst das internationale Geschäft. Fans fordern den Rauswurf von Trainer Michael Skibbe


    Leverkusen. Als Michael Skibbe in der vergangenen Woche nach dem Spiel gegen Hansa Rostock gefragt wurde, ob er ein wenig neidisch auf seinen Trainer-Kollegen Frank Pagelsdorf sei, gab der Interviewte etwas vorschnell ein klares "Nein" zu Protokoll. Schließlich sei der Koggen-Kapitän ja bedauernswerterweise abgestiegen. Er dagegen habe mit seiner Mannschaft Bayer Leverkusen am finalen Spieltag noch alle Möglichkeiten, das Saisonziel zu erreichen: nämlich die Qualifikation für das lukrative internationale Fußball-Geschäft.


    Zu diesem Zeitpunkt wusste Skibbe zwei Dinge nicht. Erstens, dass am 34. Spieltag so ziemlich alles gegen Bayer Leverkusen laufen sollte, und zweitens, dass die Frage nach Pagelsdorf eigentlich ganz anders gemeint war. Die Werkself verlor das Endspiel gegen Werder Bremen mit 0:1 (0:0) und rutschte aus jenen Rängen, die den warmen Euro-Segen bedeuten. Als Siebter der Abschlusstabelle sind die Leverkusener nun noch nicht einmal zur Ochsentour, also zur ungeliebten Nachprüfung namens UI-Cup angemeldet, sondern können sich lediglich mit dem inoffiziellen Titel "Mittelfeld-Anführer der Bundesliga-Grauzone" schmücken.
    Und weil dies zu wenig ist für einen Verein, der sich daran gewöhnt hat, alljährlich schicke Reisen zu Pflichtspielen in das europäische Ausland zu unternehmen und derzeit noch dazu seine schmucke Bay-Arena für viel Geld umbaut, geriet die traditionelle Kurzanalyse des Trainers Michael Skibbe nach Spielschluss zu einem Schuldeingeständnis. "Wir sind von vier auf sieben gerutscht und haben unser Saisonziel verpasst", erklärte der 42-Jährige, dessen tiefe Dackelfalten auf der Stirn fast ebenso fest betoniert zu sein schienen wie der akkurat frisierte Mittelscheitel. "Wenn wir Bilanz ziehen, werde ich etwas zu erklären haben." Vielleicht hat er sich an diesem kühlen Mai-Samstag dann doch noch einmal an Frank Pagelsdorf erinnert, den die Hansa-Fans in der Vorwoche trotz des Abstiegs gefeiert haben, während der Leverkusener Trainer sein Verständnis für die "Skibbe-raus-Rufe" des enttäuschten Anhangs zum Ausdruck bringen musste. Diese Unmutsäußerung der Fans sei "ein Produkt der letzten Wochen" (in denen Bayer von zehn Pflichtspielen sechs verlor) und keineswegs als Reaktion auf die Leistung gegen Bremen zu verstehen, erklärte Skibbe. Er habe vielmehr "einen richtig guten Auftritt" seiner Mannschaft gesehen. Und dieser Sichtweise konnte man sich durchaus anschließen.
    Während die Bremer verhalten die Partie aufnahmen, erinnerten sich die Leverkusener sogleich wieder ihres technisch schnellen und vor allem schön anzuschauenden Spiels. Allein, es fehlte der krönende Abschluss. Vor allem der zur zweiten Halbzeit eingewechselte Sascha Dum verpasste zweimal in sehr günstiger Position (50./55.), während ein Distanzschuss von Tranquillo Barnetta nur an den linken Pfosten klatschte (69.).
    Die defensiv kompakt operierenden Bremer verlegten sich auf gelegentliche Konter - ein kluges Rezept. Nach einer Kombination über Ivan Klasnic und dem wiedererstarkten Torsten Frings schloss Markus Rosenberg in der 80. Minute zum 1:0 für die Hanseaten ab. Ein Millionentreffer. "Wir sind zum fünften Mal hintereinander in der Champions League, das ist sensationell", bejubelte Werder-Sportdirektor Klaus Allofs die Vizemeisterschaft und die zusätzlichen Einnahmen.
    In Leverkusen wird man sich dagegen zukünftig finanziell etwas bescheiden müssen, obwohl die Zielvorgabe - internationales Geschäft - unverändert bleiben dürfte. Das weiß auch Michael Skibbe, der sich nach eigenem Bekunden als Bayer-Trainer fest im Sattel wähnt. Etwas nebulös klangen jedoch die Äußerungen von Bayer-Geschäftsführer Wolfgang Holzhäuser. "Wir werden zwei Tage schlafen und schauen, was wir in Zukunft verändern." Demnächst mehr.




    http://www.derwesten.de/nachri…news-47409013/detail.html