„Stuttgart hat es vorgemacht“

  • KÖLNER STADT-ANZEIGER: Herr Kießling, praktizieren Sie eigentlich noch ihr Ritual, am Abend vor dem Spiel Erdnüsse zu knabbern und eine Dose Cola zu trinken?


    STEFAN KIESSLING: Wenn das der Tscholli liest (Bayer-Physiotherapeut Dieter Trzolek, d. Red.), reißt er mir den Kopf ab. Das hat mal in Nürnberg angefangen, wenn wir auf dem Zimmer waren und ferngesehen haben. Ich hab es dann mal eine Zeit lang nicht mehr gemacht. Natürlich ist so was ein Schmarrn. Aber man probiert ja alles, gerade wenn es mal nicht läuft.


    Im Moment läuft es aber. Sie wirken lockerer als im letzten Jahr, und Ihre Form scheint auch besser zu sein. Woher kommt das?


    KIESSLING: Meine Situation ist ganz anders. Ich bin jetzt schon ein Jahr bei Bayer 04. Ich habe mich gut eingelebt, ich habe mich daran gewöhnt, dass ich weit weg von zu Hause bin. Das ist nicht einfach für einen jungen Spieler, 500 Kilometer weit weg von zu Hause zu sein. Jetzt habe ich es mir im Urlaub gut gehen lassen, ein bisschen Sport gemacht und mich konzentriert auf die neue Saison. Ich will hier wieder Gas geben. Ich denke, dass ich gegen Ende der Rückrunde gezeigt habe, was ich eigentlich kann.


    Gibt es für Sie nach ihrem schwachen Start in Leverkusen einen Zeitpunkt, ein bestimmtes Spiel, das die Wende zum Besseren markiert?


    KIESSLING: Vielleicht das Spiel gegen Besiktas Istanbul, das ja katastrophal für mich war. Aber ich hab dann noch zwei Tore mit aufgelegt. Dann kam das letzte Spiel im Winter in Dortmund und später Schalke, wo ich getroffen habe. Das waren so Marken. Ich habe mich dann eigentlich immer wohlgefühlt, auch wenn ich mal wieder auf der Bank war. Ich hab den Kopf nicht hängen lassen. Es ist halt so, gerade beim Stürmer, dass es Zeiten gibt, wo es nicht klappt. Nehmen Sie Klose: Spielt eine tolle WM, eine super Vorrunde, und plötzlich geht nichts mehr.


    Haben Sie sich zu viel Druck gemacht nach ihrem Wechsel?


    KIESSLING: Ja, schon. Meine eigenen Erwartungen an mich waren ziemlich hoch, als ich gekommen bin. Alle haben gesagt, da kommt der Berbatow-Nachfolger, was ich ich nicht bin. Das habe ich auch gesagt, aber alle haben mich mit ihm verglichen.


    Wer hat Sie in dieser Phase gestützt?


    KIESSLING: Ich hab schon versucht, das mit mir selbst auszumachen.


    Hatten Sie Selbstzweifel?


    KIESSLING: Es war schon nicht einfach. Du denkst: Ich kann doch eigentlich Fußball spielen, warum klappt's nicht? Warum verspringen die Bälle, die du normalerweise locker annehmen kannst? Ich denke, in jedem Beruf gibt es Phasen, wo es nicht gut läuft. Als Fußballer ist es noch schwieriger, weil du in der Öffentlichkeit stehst.


    Jetzt ist mit Theofanis Gekas der Torschützenkönig der Bundesliga nach Leverkusen gekommen. Nimmt das Druck von Ihnen?


    KIESSLING: Am Anfang schauen die Leute natürlich verstärkt auf die Neuzugänge. Letztes Jahr war ich es, jetzt ist es ein anderer. Aber ich muss trotzdem versuchen, mich zu beweisen. Das habe ich vor.


    Mit ihrem Aufschwung in der Rückrunde kam auch ihr erstes A-Länderspiel. Sehen Sie für sich Chancen, mit zur EM zu fahren?


    KIESSLING: Das ist ein Ziel für mich. Eine EM ist eine Riesensache und ein großer Ansporn. Wir haben ja sehr viele junge Spieler in der Mannschaft, die dorthin wollen, auch viele deutsche. Aber man kann nicht alle mitnehmen, einige werden auf der Strecke bleiben.


    Im nächsten Jahr kommt Patrick Helmes aus Köln nach Leverkusen, ein Konkurrent im Klub und vielleicht auch für die Nationalmannschaft. Wie empfinden Sie das?


    KIESSLING: Ach, das ist noch so lange hin, da mache ich mir jetzt noch keine Gedanken.


    Leverkusens Spiel-System ist auf einen zentralen Stürmer zugeschnitten. Das wird meistens Gekas sein. Sie werden eine andere Rolle spielen, entweder rechts oder dahinter.


    KIESSLING: Ich würde auch im Tor spielen, wenn ich dort meine Leistung bringen kann. Ich will spielen. Klar, ich bin Stürmer und will Tore schießen. Aber wenn der Trainer mich auf einer anderen Position besser sieht und meint, dass ich der Mannschaft dort helfen kann, dann mach ich das natürlich.


    Trainer sagt, es werde schwer, wieder Platz fünf zu erreichen. Ist das nicht etwas tiefgestapelt?


    KIESSLING: Nein, nein, du kannst nicht von einer ganz neuen Mannschaft verlangen, dass sie auch noch einen Platz höher kommt. Nicht bei so einem Umbruch. Wir haben acht Neue, da muss du dich erst mal zurechtfinden. Aber den fünften Platz wollen wir schon holen. Das muss mit dieser Mannschaft und dem Umfeld von Bayer Leverkusen schon das Ziel sein. Man muss nur damit rechnen, dass es etwas dauert, bis alles funktioniert. Es sind ja nicht nur acht Neue, sondern es ist auch eine sehr junge Mannschaft. Stuttgart hat es vorgemacht.


    Wann sind Sie so weit?


    KIESSLING: Man sollte in diesem Jahr nicht vom Titel reden. Aber wir sind in drei Wettbewerben dabei, mit etwas Glück kann da viel passieren. Wir sollten uns noch zwei, drei Jahre geben. Dann kann man wieder dort angreifen, wo Leverkusen vor vier, fünf Jahren war.


    Das Gespräch führte Christian Oeynhausen


    http://www.leverkusener-anzeig…tikel/1184277663253.shtml