„Big Boss” Reiner Calmund, ehemals Manager bei Bayer Leverkusen, über das deutsche WM-Quartier in Berlin, die fehlende Lobby für Leverkusen und den besonderen Ehrgeiz des Bundestrainers.
Als "Big Boss" suchen Sie im Abendprogramm von RTL durchsetzungsfähige, junge Menschen. Jürgen Klinsmann würde doch diesem Typus des knallharten Managers perfekt entsprechen?
Der Klinsmann hätte bei uns eine gute Chance, zu gewinnen. Weil er intelligent ist, weil er Leidenschaft hat, anpackt und nicht konfliktscheu ist. Klinsmann wäre ganz klar einer der Favoriten.
Jetzt hat sich der Bundestrainer sogar mit dem Wechsel des deutschen WM-Trainingslagers von Leverkusen nach Berlin gegen die Funktionäre durchgesetzt.
Ich bin immer ein Befürworter von Klinsmann als Bundestrainer gewesen, weil er für Aufbruchstimmung sorgt. Aber wir sollten seine Erfolge im Moment auch nicht überbewerten, wir haben nämlich bis auf Brasilien noch nicht gegen die erste Klasse gespielt. Trotzdem sehe ich, daß Klinsmann neue Wege geht. Das halte ich für positiv. Ich halte es für völlig legitim, daß der Trainer vor der Weltmeisterschaft eigene Ideen und Konzepte durchsetzen will. Dazu zählt auch das Trainingslager.
Darum wurde zwischen ihm und der Verbandsführung lange Zeit gerungen.
Der DFB hat Klinsmann in dieser Frage als Ein-Mann-Torpedo abgeschickt. Das war falsch. Ich hätte mir hier von seiten des DFB bei der Auswahl des Trainingslagers ein anderes Prozedere erwartet. Man hätte von Anfang an auf einen Konsens mit Leverkusen setzen müssen und nicht immer irgendwelche neuen Fakten und Diskussionen vorbringen dürfen, um dann hinterher den atmosphärischen Flurschaden zu bereinigen.
Was empfinden Sie als alter Leverkusener, daß Berlin nun 2006 WM-Basis der deutschen Elf wird?
Ich bin nicht mehr Entscheidungsträger in Leverkusen, mir steht nicht mehr zu, das grundsätzlich zu besprechen. Aber mir tut die Entscheidung weh, obwohl ich für die Position von Klinsmann Verständnis habe. Als objektiver Fußballfachmann begrüße ich Klinsmanns egoistische Sichtweise, denn egoistisch muß er ja sein, um seine Ideen durchzuziehen. Aber das Prozedere des DFB kann ich überhaupt nicht nachvollziehen.
Welche Funktionäre beim DFB kritisieren Sie - die Präsidenten Gerhard Mayer-Vorfelder oder Theo Zwanziger, den Generalsekretär Horst R. Schmidt?
Was ist denn passiert? Deutschland hatte kaum Chancen, den WM-Zuschlag zu bekommen. Die erste Sitzung des Bewerbungskomitees fand in Leverkusen statt, die Bayer AG gab als erstes Unternehmen einen Zuschuß zur Initialzündung, hat die Sache immer stark unterstützt. Dann folgte noch der Input mit Daum und Völler als Teamchef, das hat Bayer Leverkusen auch zusätzliches Geld gekostet. Alle waren am Ende glücklich, daß der Kompromiß mit dem WM-Trainingslager in Leverkusen zustande kam, auch der DFB hat das gefeiert, darüber gibt es schriftliche Vereinbarungen und ein Wort unter Männern. Ich weiß, daß man in Leverkusen jetzt nicht zufrieden ist, wie das gelaufen ist.
DFB-Präsident Zwanziger hatte sogar bis zuletzt behauptet, man stehe fest zu Leverkusen.
Ihn sehe ich positiv. Der war damals bei den Abmachungen gar nicht dabei. Als neuer Präsident hat er ganz richtig festgestellt, daß schriftliche und mündliche Vereinbarungen vorliegen, daß Leverkusen für ihn erst einmal die erste Adresse sei. Ich mache Zwanziger überhaupt keine Vorwürfe.
Fehlt Leverkusen die Lobby, hat der Standort doch keine herausragende Bedeutung im deutschen Fußball?
Die Lobby richtet sich nach dem Moment. 2002 waren wir wichtig. Da haben wir mit sechs Leverkusenern in der Nationalmannschaft die WM-Relegation geschafft und sind Vizeweltmeister geworden. Plus Trainer Völler, plus dem ganzen Input von unserer Seite, ich gehörte zum Arbeitskreis Nationalmannschaft. Da hast du natürlich eine andere Lobby. Die Welt verändert sich, und Leverkusen ist ein bißchen abgerutscht.
Und wie ist das mit Ihnen, haben Sie Gefallen an der Distanz zum Fußball gefunden?
Ich bin ein Kind des Fußballs. Ich brauchte diese Pause, weil der Nervenstreß zu groß geworden war, weil ich für alles die Rübe hinhalten mußte. Für mich ist es nicht mehr vorstellbar, als erster Mann auf der Kommandobrücke zu stehen. Trotzdem werde ich wieder etwas mit Fußball machen, in Verbindung mit Unterhaltung oder Sponsoren. Ich bin ja WM-Botschafter von Nordrhein-Westfalen und will den Titel nicht spazierentragen, sondern etwas bewegen. Ich bleibe ein Fußballbekloppter.
Aber das Fußballgeschäft saugt die Menschen aus?
Nervlich würde ich das nicht mehr machen. Wenn ich den Meier sehe in Dortmund oder meinen Schüler Rettig in Köln, kreidebleich, zitternd, mit roten Augen - das muß ich nicht mehr haben. Den ganzen Arbeitsstreß, den Streit mit Spielern, Beratern, Medien, Sponsoren, Verbänden, den könnte ich tagtäglich von oben bis unten spielen. Was ich nicht mehr hinbekomme im Fußball, ist die Abhängigkeit von den Ergebnissen auf dem Platz. Ich bin nach Spielen nach Hause gefahren, habe eine Kerze angezündet und mich auf die Couch gesetzt, meine Frau hat mir einen Tee gemacht. Dann ging der Druck langsam aus dem Körper heraus. Nach Niederlagen ging der nicht aus dem Körper heraus, dann hatte ich einen Verlust von Lebensqualität, der mich tagelang beschäftigt hat. Ich hänge zu sehr am Leben, daß ich das so weiterbetreiben wollte.
Es gibt Gerüchte über eine Abmachung mit Ihrem ehemaligen Arbeitgeber Bayer Leverkusen, die Ihre Rückkehr ins Fußballgeschäft bis 2006 verhindert. Stimmt das?
Diese Klausel gibt es nicht. Ich könnte jederzeit wieder ins Fußballgeschäft einsteigen.
Und was bleibt Leverkusen jetzt noch von den WM-Träumen?
Wenn die erste Enttäuschung vorüber ist, muß nach neuen Lösungen gesucht werden, um sich bei der Weltmeisterschaft einzubringen.
Das heißt?
Ich habe so ein paar Ideen im Kopf, aber das sage ich erst dem Verein.
Das Gespräch führte Michael Ashelm.
Text: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 05.12.2004, Nr. 49