Nowotny im Interview - "Hast Du einen Schuß?"

  • Nowotny im Interview
    „Hast du einen Schuß?"
    FAZ-Net, 21. Mai 2006


    Zu den Überraschungen der deutschen WM-Mission gehört die Nominierung des 32 Jahre alten Jens Nowotny. Der Defensivspezialist im Interview mit der Sonntagszeitung über seine Kritiker, Explosionen auf dem Platz und seinen Führungsstil.


    Schön regeneriert heute morgen beim Training?


    Das ist Regenerationstraining - da staunt man doch, wenn man zuschaut, oder?


    Ja - und wenn man mitmacht?


    Es ist noch Luft nach oben. Zum Aktivieren war es gut. Aber die Belastung ist noch nicht ganz so groß wie in der Vorbereitung.


    Nowotny: "Einige Mannschaften werden sich verdammt umgucken"


    Haben Sie vor einem Jahr nach Ihrem vierten Kreuzbandriß daran gedacht, daß Sie es noch zu einer Weltmeisterschaft schaffen?


    Ich habe schon im Kopf gehabt, daß es ein halbes Jahr dauert, bis ich wieder spielen kann - und daß eigentlich genau passen würde, daß ich vor der Weltmeisterschaft auf einem guten Niveau bin. Es war ja bei den anderen Verletzungen auch so, daß ich danach gut reingekommen bin und dann noch ein bißchen durchstarten konnte. Fest gerechnet habe ich damit natürlich nicht - aber gehofft.


    Zwischen Hoffnung und Realismus ist ja ein großer Unterschied. Wie realistisch fanden Sie es tatsächlich, mit 32 Jahren noch in eine stark verjüngte Mannschaft reinzukommen?


    Ich habe durch meine Verletzungen sehr viel Realismus gelernt. Ich wußte, wie schnell sich im Fußball die Dinge wenden können - in beide Richtungen. Ich habe mir vorgenommen, alles für eine Rückkehr zu tun, damit ich mir selbst nichts vorwerfen kann. Die einen sagen jetzt zur Nominierung: Es ist der Lohn der vergangenen Monate. Die anderen sagen: Es ist Glück. Und manche diskutieren: Warum wird der überhaupt mitgenommen?


    Aber es ist ja schon auffällig, daß Sie der einzige der älteren Spieler sind, die es doch noch geschafft haben - mit vielen haben Sie überhaupt noch nie zusammengespielt.


    Das stimmt. Aber ich finde den Weg von Jürgen Klinsmann gut, daß er am Anfang einen Schnitt vorgenommen und junge Spieler gebracht hat. Die "Alten", in Anführungszeichen, hat man immer in der Hinterhand. Man weiß, was die können. Die braucht man nicht großartig zu testen - und mich hat man ja auch gar nicht testen können. Bei den jungen Spielern mußte man erst einmal feststellen, wie weit sie sind und wie sie mit Druck umgehen können. Es wäre viel schwieriger gewesen, wenn man eine alte Truppe gehabt hätte und sechs Wochen vor der WM gemerkt hätte, daß es nicht funktioniert, und man sich erst dann fragt: Welche jungen Spieler können wir nehmen? Ich war auch nie jemand, der etwas gefordert hat oder jemanden in der Presse kritisiert hat. Ich habe versucht, meine Leistung zu bringen. Das hat funktioniert.


    Sie haben Klinsmann als Trainer bis zuletzt nur aus der Distanz kennengelernt - wie beurteilen Sie die Entwicklung unter dem Bundestrainer?


    Da kann ich Parallelen zu Christoph Daum ziehen. Den hat man am Anfang auch mit seinen neuen Methoden kritisiert und belächelt. Und wir hatten trotzdem einen gewissen Erfolg mit Leverkusen. Es gibt die Parallelen, daß auch Jürgen Klinsmann sehr viel pusht und motivierend einwirkt. Das einzige, was ich ein bißchen schade finde, ist, daß er mit seinem positiven Denken eigentlich jeden erfaßt - bis auf die Medienlandschaft.


    Seine Wirkung spüren Sie schon nach wenigen Tagen?


    Ich spüre es schon ein bißchen länger. Ich sehe doch, wie Bernd Schneider von der Nationalelf zurückkommt, wie er an sich arbeitet und wie er von der Nationalmannschaft redet. Im Prinzip spürt man das, wenn man eine Sitzung mitmacht.


    Und wie läuft das ab?


    Ähnlich wie bei Christoph Daum. Deswegen kann ich mich auch gut in die jungen Spieler reinversetzen. Ich habe damals auch staunend vor Christoph Daum gesessen und habe mir gedacht: Was passiert denn hier eigentlich? Und dann gehst du raus und bist ein Stück größer und breiter - und das reicht dann.


    Und das nehmen Sie einem Trainer auch in Ihrem Alter noch ab?


    Ja. Weil ich seit Christoph Daum weiß: Erfolg ist planbar.


    Liegt die Ruhe, die Sie bis zuletzt bewahrt haben, auch an den Verletzungen, die Sie in den vergangenen Jahren überstehen mußten?


    Es bringt nichts, wenn man etwas übers Knie bricht - im wahrsten Sinne des Wortes. Ich habe immer gesagt, daß die WM mein Traum ist. Aber wenn es nicht geklappt hätte, dann hätte ich mir auch in diesem Fall die positiven Seiten betrachtet. Ich hätte dann den längeren Urlaub und die längere Regenerationszeit, um mich auf neue Aufgaben vorzubereiten, in den Vordergrund gestellt. Ich habe da immer etwas parat. Ich wäre nicht in ein Loch gefallen.


    Wie fühlt sich der Traum jetzt an?


    Als ob man lebt. Es gibt viele Träume, die man sich kurzzeitig erfüllen kann. Aber das ist ein Traum, der dauert jetzt vier, sechs Wochen lang. Der Traum wird jetzt gelebt und genossen.


    Viele haben nur noch gelacht, als Sie bei Bayer Leverkusen nicht mehr spielten und trotzdem von der WM träumten.


    Es ist schön, daß sich jetzt meine Kritiker fragen müssen, warum es doch noch funktioniert hat. Wie kann es sein, daß einer, der so weit weg ist und trotzdem so fest daran glaubt - dann sieht man, was alles machbar ist. Ich habe so viel erlebt in den letzten Jahren: Vor vier Jahren reißt mir im Halbfinale der Champions League das Kreuzband - ich verpasse alle Endspiele, ich verpasse meine erste Weltmeisterschaft als Stammspieler, ich verpasse alles. Viele haben damals gesagt: Warum machst du denn noch weiter? Hast du einen Schuß? Aber für mich ist es ganz normal, weiterzumachen.


    Welche Rolle wollen Sie denn auf dem Platz bei der Nationalelf ausfüllen?


    Die Rolle, die ich auch in Leverkusen innehabe. Ich werde im Training, um es lapidar zu sagen, meinen Stiefel machen. Ich werde Leistung im Training und meine Art einbringen, die einen Führungsstil beinhaltet, der in der Ruhe liegt. Ich werde versuchen, zu führen - und Lockerheit zu vermitteln. Mehr Ruhe als ich kann man gar nicht haben.


    Was hat Ihnen der Bundestrainer als Gründe für Ihre Rückkehr genannt?


    Um es auf den Punkt zu bringen: Ruhe, Erfahrung - und auch der Wille und die Kraft, so etwas durchzustehen.


    Wie beurteilen Sie denn die Leistungsfähigkeit der deutschen Mannschaft? Zu welchem Urteil kommen Sie im Vergleich zum Kader 2002?


    Der jetzige Kader wird auf jeden Fall kraftvoller und explosiver sein. Er wird sehr durch Zweikampfstärke und Spielhärte auffallen. Er wird 90 Minuten lang Gas geben auf einem verdammt hohen Niveau. Da werden sich einige Mannschaften verdammt umgucken.


    Und diese Spielweise liegt Ihnen?


    Absolut. Egal, ob man gegen Brasilien oder Togo drei Meter von seinem Gegner weg ist - dann kann auch Togo zaubern. Den Fußball, den wir hier praktizieren wollen, zielt darauf, dem Gegner keinen Platz zu lassen, so daß er sein Spiel nicht entfalten kann. Das liegt mir.
    Die Fragen stellte Michael Horeni.


    Text: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 21.05.2006, Nr. 20 / Seite 17
    Bildmaterial: AP, picture-alliance/ dpa/dpawe


    Original mit Leserkommentaren unter
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    Wenn die Zeit kommt, in der man könnte, ist die vorbei, in der man kann.